Wood: "Experimente, um Menschen zu töten"
6. April 2018In Russland wird nach Angaben des britischen Botschafters in Berlin, Sebastian Wood, entgegen der offiziellen Darstellung weiterhin mit dem Nervengift Nowitschok experimentiert. Wenn Russland behaupte, alle Kampfgifte aus Sowjetzeiten unter Aufsicht internationaler Beobachter vernichtet zu haben, so sei das aus britischer Sicht "falsch, völlig falsch", erklärte Wood im Deutschlandfunk.
"Unsere Nachrichtendienste wissen, dass es dieses Geheimprogramm zum Nowitschok-Giftstoff gibt, das die russische Regierung nie offengelegt hat." Der Diplomat forderte Russland auf, als ersten Schritt nun diese Offenlegung nachzuholen. Es gehe um einen Verstoß gegen die Chemiewaffen-Konvention.
"Menschen wie Skripal sind Ziele von Anschlägen"
Bekannt sei auch, dass der russische Staat Menschen wie Sergej Skripal als Ziele von Anschlägen betrachte, sagte der Botschafter im Deutschlandfunk weiter. "Wir haben eine starke Einschätzung, dass es höchstwahrscheinlich ein Anschlag des russischen Staates war, und deshalb mussten wir alle gemeinsam reagieren".
An dieser Stelle hakte die Interviewerin nach: "Sie sprechen jetzt wieder von 'höchstwahrscheinlich'. Wenn die britische Regierung diese Belege hat, von denen Sie uns jetzt gerade erzählt haben, warum macht sie die nicht öffentlich?"
Wood wich zunächst aus und erklärte dann auf wiederholte Nachfrage: "Wir haben unsere Belege mit unseren Verbündeten geteilt. Und offensichtlich haben unsere Verbündeten diese Belege überzeugend gefunden. Und vor der Öffentlichkeit haben wir gesagt, dass unsere Nachrichtendienste wissen, dass die russischen Behörden früher experimentiert haben, wie man dieses Nervengift am besten einsetzt, um Menschen zu töten. Also, die Belege sind klar genug."
Wood sprach von einem "Gesamtbild", einer "Vorgeschichte staatlich unterstützter Morde" und einem "Verhaltensmuster der russischen Regierung". Die angeführten Belege für eine konkrete Beteiligung Russlands an der Vergiftung des früheren Doppelagenten konkretisierte er allerdings nicht.
Bundesregierung: "Äußerst plausibel"
Anders als vielen in der Öffentlichkeit - und auch dem britischen Labour-Chef Jeremy Corbyn, der sich kritisch geäußert hatte -, scheinen den Verbündeten Großbritanniens die zur Verfügung gestellten Informationen zu genügen. In einer Reaktion auf Woods Interview im Deutschlandfunk erklärte die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung Ulrike Demmer, man halte die britischen Hinweise für "äußerst plausibel" und sehe ein "Muster russischen Verhaltens", das immer wieder völkerrechtswidriges Vorgehen zeige.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes deutete überdies an: "Wir verfügen über eine ganze Reihe von anderen Erkenntnissen". Die Bundesregierung könne diese aber nicht alle öffentlich machen.
Einstweilen bleibt es also dabei: Im Ringen um die öffentliche Deutungshoheit streitet Russland alle Verantwortung für die Giftattacke im südenglischen Salisbury ab und verlangt Beweise. Die Briten und ihre Verbündeten zeigen sich ihrerseits felsenfest überzeugt, dass Moskau hinter dem Anschlag steckt. Im Schlagabtausch wird die Wortwahl - wie etwa in der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates am Donnerstag - zusehends schärfer. Das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Russland und dem Westen verschlechtert sich derweil weiter.
Ärzte: Zustand Skripals deutlich besser
Die Ärzte Skripals teilten unterdessen mit, dass es dem ehemaligen russischen Doppelagenten nunmehr deutlich besser gehe. Mehr als einen Monat nach dem Giftanschlag sei Skripal nicht mehr in kritischem Zustand, sagte die ärztliche Leiterin des Bezirkskrankenhauses im südenglischen Salisbury, Christine Blanshard, "Er spricht gut auf die Behandlung an, seine Gesundheit verbessert sich schnell." Am 4. März war in Salisbury der Anschlag auf den 66-jährigen Skripal und seine Tochter Julia verübt worden.
sti/jj/rb (Deutschlandfunk, dpa, afp, rtr)