Brille nötig: Kurzsichtig durchs Smartphone
28. September 2018Bis Mitte des Jahrhunderts werden rund fünf Milliarden Menschen, also die Hälfte der Weltbevölkerung, kurzsichtig sein. Das hatte das australische Brien Holden Vision Institute bereits vor drei Jahren errechnet. Vor allem in den Industrieländern ist die Anzahl kurzsichtiger Menschen in den letzten Jahrzehnten rasant angestiegen.
Überdurchschnittlich viele kurzsichtige Kinder und Jugendlichen gibt es in Asien. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren zum Beispiel in Hong Kong, Taiwan und Südkorea etwa 20-30 Prozent der 20-Jährigen kurzsichtig, heute sind es mehr als 80 Prozent. In China sind inzwischen vier von fünf Jugendlichen kurzsichtig. In einzelnen asiatischen Ländern beläuft sich die Quote sogar auf bis zu 95 Prozent. Aber auch in Europa ist etwa die Hälfte der jungen Erwachsenen kurzsichtig.
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Je besser die Bildung, desto schlechter die Augen
Der kontinuierliche Anstieg über mehr als 70 Jahre kann folglich nicht alleine mit der gegenwärtigen intensiven Computer- und Smartphone-Nutzung erklärt werden, möglicherweise aber mit den gewandelten Lebensumständen. Heutzutage lesen wir mehr bzw. starren öfter auf Bücher, Tablets oder Mobiltelefone. Und wir verbringen deutlich weniger Zeit im Freien. Es gibt sogar einen direkten Zusammenhang zwischen den wachsenden Bildungschancen und der Sehschwäche: Je höher der Ausbildungsgrad, desto höher das Risiko für Kurzsichtigkeit. "Die Zunahme ist vor allem auf sehr frühen und intensiven Gebrauch von PCs, Smartphones und Tablets bei gleichzeitig immer kürzeren Tagesaufenthalten im Freien zurückzuführen", so Professor Dr. Nicole Eter, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Augenheilkunde (DOG) vor dem Kongress der Organisation in Bonn.
Prägende Faktoren
Bereits in frühster Jugend entscheidet sich, ob jemand kurzsichtig wird und eine Sehhilfe benötigt. Wer einmal kurzsichtig ist, bleibt es auch. Das gewachsene Auge schrumpft nicht wieder. Meist beginnt die Kurzsichtigkeit im Grundschulalter und sie nimmt im Laufe der Jahre zu. Je früher sie beginnt, desto stärker wird sie.
Wenn der Augapfel im Alter zwischen sechs und zehn Jahren zu stark wächst, bedeutet dies den Verlust der Sehschärfe im Fernbereich. Und eine starke Kurzsichtigkeit erhöht auch das Risiko für eine Netzhautablösung, für Grauen Star durch erhöhten Augeninnendruck oder eine spätere Erblindung.
Abstand und Tageslicht helfen gegen Kurzsichtigkeit
Reduzieren lässt sich das Risiko für Kurzsichtigkeit, indem der Betrachter nicht zu lange und zu nah auf einen Gegenstand schaut, der 30 Zentimeter oder weniger entfernt ist. Dabei ist zunächst einmal unerheblich, ob es sich dabei um ein Smartphone, ein Tablet oder ein spannendes Buch handelt. Entscheidend ist die Entfernung und dass der Betrachter regelmäßig aufblickt, damit das Auge den Nahbereich verlässt und der Blick in die Ferne schweifen kann. "Ein Fernseher ist weniger schlimm, denn er ist weiter weg", sagt Bettina Wabbels.
Das Risiko für Kurzsichtigkeit reduziert sich vor allem aber durch längere Aufenthalte im Freien, weil Tageslicht das weitere Wachstum des Augapfels hemmt. Nach Untersuchungen von taiwanesischen Forschern halbiert sich das Risiko für Kurzsichtigkeit, wenn Kinder mindestens 80 Minuten täglich bei vollem Tageslicht draußen verbringen. In Zimmern beträgt die Lichtstärke im Durchschnitt 300 bis 500 Lux, im Freien dagegen an einem hellen Sommertag rund 100.000 Lux. Auch Untersuchungen aus Skandinavien zeigen, dass die Kurzsichtigkeit in der dunklen Jahreszeit zunimmt, während sie in der hellen Jahreszeit stagniert.
Blaulicht führt zu Schlafstörungen
Der ständige Blick auf den Bildschirm kann vor allem Kinderaugen reizen, ermüden und austrocknen. Eine übermäßige Nutzung von elektronischen Medien führt nach Ansicht der Wissenschaftler aber nicht nur zu mehr Kurzsichtigkeit, es leidet auch das räumliche Vorstellungsvermögen. Verschwommenes Sehen oder Schielen können die Folge sein. Außerdem ist der abendliche Smartphone-Gebrauch möglicherweise für Schlafstörungen verantwortlich: "Der hohe Blaulichtanteil der Bildschirme hemmt die Ausschüttung des Hormons Melatonin, das schläfrig macht", ergänzte DOG-Präsidentin Nicole Eter, die die Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Münster leitet.
Eltern sollten daher unbedingt die Nutzungsdauer digitaler Medien bei Kindern begrenzen. "Aus augenärztlicher Sicht sind PC, Smartphone oder Tablet für Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren gänzlich ungeeignet", betont Bettina Wabbels von der Bonner Universitäts-Augenklinik. Die Augen-Expertin empfiehlt für Vier- bis Sechsjährige eine tägliche Nutzungsdauer von bis zu dreißig Minuten. "Im Grundschulalter wäre eine Medienzeit von maximal einer Stunde täglich aus augenärztlicher Sicht vertretbar, ab einem Alter von etwa zehn Jahren von bis zu zwei Stunden pro Tag", sagt die Professorin.
Auch alte Augen brauchen Ruhe und Licht
Die guten Ratschläge gegen Kurzsichtigkeit gelten aber nicht nur für Kinder und Jugendliche. Betroffen sind auch Erwachsene, deren Augen auch zuweilen eine Pause brauchen. Zwar ist das Auge nach der Pubertät ausgewachsen. Aber der Augapfel kann auch wieder größer werden, wenn ein Erwachsener zum Beispiel bei der Arbeit häufiger auf Bildschirm schaut oder sich seltener im Freien aufhält.
Wenn möglich sollten Computer-Bildschirm im Büro deshalb lieber größer ausfallen und dafür gut einen Meter entfernt aufgestellt werden. Wichtig ist, dass der Betrachter nicht zu lange im Nahbereich auf einen Bildschirm starrt und spätestens nach einer Viertelstunde den Blick mal wieder in die Ferne schweifen lässt.
Auch den Augen von Erwachsenen tut Tageslicht ausgesprochen gut. Und "um Schlafstörungen zu vermeiden, sind elektronische Medien ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen tabu", betont Augen-Expertin Wabbels. Auch das gelte für Kinder wie für Erwachsene.