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Politik

Frankreichs Geduldsfaden reißt langsam

Catherine Martens
10. September 2019

Frankreich zeigt den Briten die gelbe Karte in Sachen Verlängerung. Die Verantwortung, dass es nicht zu einem No-Deal komme, liege bei Großbritannien. Einen neuen Aufschub des Brexits will Paris vermeiden.

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Frankreich Emmanuel Macron und Boris Johnson in Paris
Bild: Reuters/G. Fuentes

Die viel bemühte klare Haltung - derzeit kommt sie aus Frankreich. Paris, anders als Deutschland, lässt derzeit keinen Zweifel daran, dass es den Briten nicht einfach mehr Zeit schenken will. Aus Kreisen des Elysées heißt es gegenüber der DW: "Nein, der Präsident steht einer Verlängerung nicht wohlwollend gegenüber." Diese Position könnte zu einem handfesten Problem werden. Denn falls Großbritannien letztlich tatsächlich einen Aufschub wünschte, müssten alle 27 Mitgliedsstaaten einstimmig grünes Licht geben. Doch Frankreich steht bislang auf der Bremse und könnte damit eine entscheidende Rolle im Brexit-Drama spielen.

Macron bleibt beim "Nein" - vorerst

Bereits im März stellte sich Präsident Macron quer. Nur mit Mühe gelang es den europäischen Staats- und Regierungschefs einen Kompromiss auszuhandeln. Die Frist für die Briten endet bekanntermaßen nun am 31. Oktober. Mehr Flexibilität will Paris derzeit nicht zulassen: "Wir können nicht alle drei Monate wieder damit anfangen", schimpfte Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Driand jüngst im französischen Rundfunk Europe 1. Dies sei der aktuelle Stand, daran habe sich nichts geändert, bestätigt das Außenministerium auf Anfrage der DW. Man sei für Ende Oktober vorbereitet, lässt auch Premierminister Edouard Philippe medienwirksam wissen. Auf Instagram können die Franzosen die jüngste Brexit-Sitzung der Minister nachlesen. Frankreich, das seine nördlichen Küsten dort hat, wo der EU-Binnenmarkt nach dem Brexit endet, ist also bereit für den Bruch. Bereit für Zollkontrollen. Es stellt sich die Frage: Wird Frankreich diese harte Linie durchziehen, bis in die letzte Konsequenz und damit ein No-Deal-Szenario riskieren?

Die französische Industrie läuft sich warm

Wirtschaftliches Interesse gibt es, Großbritanniens Aussscheiden nicht auf die lange Bank zu schieben. Paris strebt nicht erst seit gestern danach, London den Platz als Finanzstandort streitig zu machen. Weiterer Aufschub für die Briten würde es dem Finanzviertel La Défense nur erschweren, zur Nummer 1 Europas aufzusteigen. Bereits seit dem Referendum beschäftigt sich Frankreich viel offener als etwa Deutschland damit, den Standort Paris als neuen europäischen Dreh- und Angelpunkt zu verkaufen. Die private Non-Profit-Organisation Paris Europlace, die die französische Hauptstadt als Investitionsstandort bewirbt, beziffert potentielle neue Jobs im Finanzwesen und der Industriebranche auf rund 8000, allein in der Region Ile-de-France würden so rund 20.000 Menschen nach Paris wechseln. Unter 500 weltweit führenden Unternehmen, so wirbt Europlace in einer Studie, seien bereits 31 französisch, dagegen nur 29 deutsch und 24 britisch. Solche Zahlen für den Großraum Paris sind freilich nicht aussagekräftig für ein ganzes Land.

Deutsch-Französischer Dissens

Doch in Frankreich, so der französische Politikwissenschaftler Christian Lequesne von der Denkfabrik Centre of International Studies der Hochschule Sciences Po, gibt es kein Tabu, darüber nachzudenken, wie es von einem Brexit profitieren kann: "Für die Franzosen gilt nicht diese Idee, dass die Briten um jeden Preis bleiben müssen". In dieser Hinsicht, so Lequesne, unterscheide sich Paris deutlich von Berlin. Insgesamt, erklärt der Politologe, sei Paris die deutsche Haltung zu mau. Und die Zeiten, als die deutsche Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene ihre politische Lesart ohne Mühe geltend machen konnte, sei auch vorbei. "Emmanuel Macron ist ungeduldig, weil er endlich aus dem Europa der Krisen raus will. Weil er endlich mit Reformen anfangen möchte", so der Pariser Politologe.

EU Gipfel in Brüssel
Präsident Emmanuel Macron im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela MerkelBild: Reuters/S. Lecocq

Aber aus purem Reformeifer die Briten voreilig aus der EU drängen? Dieses Szenario, trotz aller französischer Ungeduld, hält der Politikanalyst Mujtaba Rahman, vormalig tätig für die EU Kommission, für höchst unwahrscheinlich. Rahman lehrt sowohl an der britischen Hochschule London School of Economics als auch an der französischen Universität Sciences Po in Paris. Für ihn steht fest, dass die harte Linie der Franzosen Teil des politischen Geschäfts ist - eine Verhandlungsposition, um mehr Spielraum gegenüber den Briten zu bekommen. Es sei nicht davon auszugehen, so Rahman, dass Emmanuel Macron sich im Kreise der 27 Mitgliedsstaaten als Hardliner festfährt. Damit würde er sich politisch isolieren und seinen Anspruch, als starker Europäer langfristig Merkel abzulösen, schwächen. "Die französische Position ist nuancierter."

Das lassen auch Verlautbarungen aus diplomatischen Kreisen des Elysées in Brüssel vermuten. "Eine Verlängerung, nur um zu verlängern, das können wir nicht gut heißen." Aber, so räumen mit der französischen Haltung Vertraute gegenüber der DW ein, wenn die Verlängerung das Ergebnis einer neuen, politischen Orientierung in Großbritannien wäre, dann könnte die französische Regierung damit arbeiten. Laut Mujtaba Rahman wird Frankreich hart verhandeln. Aber im Kern darum, wie lange ein neuer Aufschub sein wird, nicht ob es einen geben wird, so Mujtaba. "Alles andere würde gegen den französischen Präsidenten spielen. Er will sich schließlich mit einer europäischen Agenda profilieren. Nicht damit, dass er vorschnell die Briten rauswirft."