Brexit-Tagebuch 32: Die Freuden der Solidarität
28. März 2018Ausnahmsweise trat Boris Johnson in seinem Hauptberuf als Außenminister auf. Er sei seinen Freunden und Alliierten "zutiefst dankbar" für die größte Ausweisung russischer Diplomaten seit dem kalten Krieg. Alle hätten gehandelt, um ihre eigenen Werte zu verteidigen, aber auch, um "Solidarität mit Großbritannien" zu zeigen. "Ich glaube, dass die (jüngsten) Ereignisse ein Wendepunkt sein können". Boris meinte natürlich die zunehmende Isolation Russlands und nicht UK nach dem Brexit.
Theresa May war in der vorigen Woche vom Gipfeltreffen in Brüssel zurückgekehrt und wurde in den Schlagzeilen für einen "Sieg britischer Diplomatie" gelobt. Aber eigentlich war es ziemlich einfach. Sie saß am großen Tisch mit den anderen Regierungschefs und die deutsche Bundeskanzlerin stärkte ihr den Rücken. Angela Merkel kennt Putin und versteht seine Psychologie. An einem bestimmten Punkt muss man zurück schlagen.
Man weiß aber auch, dass Merkel den Brexit für einen ärgerlichen Fehler hält. Wie viel politisches Kapital sie noch für Großbritannien übrig hat, wenn das Königreich für die EU nur noch ein "Drittland" ist - wer weiß. Vermutlich enden ja die Tage der mühelosen Solidarität am 29. März 2019.
Bringt der Brexit den Exit von der Raumfahrt?
Sie sind wie Hyänen an der Futterstelle. Das sagen Insider der britischen Raumfahrt-Industrie über ihre Konkurrenten in der Schlussphase des EU-Galileo-Programms. Galileo ist Europas Antwort auf das GPS-System der Amerikaner, soll ihnen Marktanteile abnehmen und für militärische Unabhängigkeit sorgen.
Im Januar hatte die EU-Kommission einen Brief nach London geschrieben und mitgeteilt, dass die nächste Runde der Galileo-Verträge ohne britische Beteiligung ausgeschrieben würde. Brüssel begründet dies damit, dass Großbritannien nach dem Brexit keinen Zugang mehr zu den hochsensiblen Informationen im Herzen des Satellitenprojektes haben soll.
"Das ist ungeheuerlich", schimpft Verteidigungsminister William Gavinson und führt die enge Sicherheitspartnerschaft an, die das Königreich doch in der Zukunft mit der EU vereinbaren wolle. Diese Partnerschaft kann aber erst dann unterschrieben werden, wenn die Briten im nächsten Jahr raus sind und die Galileo-Verträge müssen schon in den nächsten Monaten abgeschlossen werden.
London hat den Verdacht, dass es hier nur um einen billigen Vorwand geht, um französischen und deutschen Anbietern Vorteile zu verschaffen. Das ist durchaus möglich. Aber wer hatte denn der britischen Industrie versprochen, der Brexit würde schmerzlos? Man erinnert sich an einen gewissen Boris Johnson und seine kecken Sprüche über Kuchen, den man haben und essen könne. Aber wer glaubt eigentlich BoJo und seinen Phantasien? Diejenigen sollten sich ausschließlich an die eigene Nase fassen.
Hat "Vote Leave" betrogen?
Die Folgen des Cambridge Analytica Skandals haben jetzt auch den Brexit erreicht. Es geht um die offizielle "Vote Leave" Kampagne, unterstützt unter anderem von Boris Johnson. Jetzt hat ein Whistleblower in der Zeitung "Oberserver" aufgedeckt, dass eine Spende über 625.000 Pfund von "Vote Leave" an eine Schwester-Organisation namens "BeLeave" weiter gereicht wurde. Gleiche Kampagne, dieselben Büros, anderer Name. Und von dort soll das Geld an die Digitalfirma Aggregate IQ gezahlt worden sein, die mit Cambridge Analytica verbunden ist.
Es geht darum, dass "Vote Leave" angeblich auf diese Weise 625.000 Pfund mehr für seine Brexit-Werbung ausgegeben hat, als gesetzlich erlaubt ist. Die unabhängige Wahlkommission soll den Fall untersuchen.
Die Pro-Europäer sind wütend und verlangen ein zweites Referendum. Sie sehen die Affäre als weiteren Beweis für die Verlogenheit der Brexit-Kampagne und bezweifeln die Legitimität der Abstimmung. Denn wenn die Brexiteers mehr Geld ausgegeben und die schwarzen Künste der digitalen Manipulation benutzt haben, dann war der Wahlkampf nicht fair.
Boris Johnson nennt die Vorwürfe "total lächerlich". Aber die Affäre hat inzwischen die Downing Street erreicht, denn Theresa Mays politischer Berater Stephen Parkinson ist darin verstrickt. Als früherer Chef-Organisator der "Leave-Kampagne" wies er offiziell alle Vorwürfe zurück und outete gleichzeitig seinen damaligen Lebenspartner Shamir Sanna. Er aber ist der frühere Mitarbeiter von "BeLeave", der jetzt als Whistleblower ausgepackt hat. Die Kombination von Sex und Crime gehört wohl zu jedem guten britischen Skandal.
Brexiteers werfen Fische ins Wasser
Sogar nach den Standards von Nigel Farage und Jacob Rees-Mogg war die Szene reine Comedy. Die beiden Brexiteers hatten sich furchtbar aufgeregt wegen Theresa Mays Verrat an den britischen Fischern. Die Premierministerin hatte nämlich zugelassen, dass die EU-Fischquoten noch bis zum Ende der Übergangsperiode weiter gelten werden. Ehrlich gesagt blieb ihr nichts weiter übrig. May braucht diese Zeit dringender als ein bisschen Fisch.
Die Brexit-Anhänger aber waren sauer und planten einen dramatischen Protest. Man würde Fische in die Themse werfen. Also liehen sich Jacob Rees-Mogg und Freunde ein Boot, um mit ihrer Aktion das Leid der britischen Fischer deutlich zu machen.
Der ehrenwerte Abgeordnete hatte leider die Gewässerverwaltung vergessen. Ohne Genehmigung aber durfte sein Schiffchen an der Westminster Pier nicht anlegen und Rees-Mogg musste an Land bleiben. Also kreiste das Boot in Sichtweite des Parlaments auf der Themse herum mit Nigel Farage, der früher an Bord gegangen war. Der machte sich dann tapfer daran, ein paar Kisten älteren Kabeljaus in die grauen Wellen zu werfen. Die Fische aber waren schon so stinkig, dass nicht einmal die kreisenden Möven noch daran Interesse hatten. Diese lustige Szene trägt die Überschrift: "Der Brexit ist eine fischige Sache".
Patriotische Pässe made in Frankreich
Um Weihnachten herum hatte Theresa May die Nachricht verbreitet, dass die neuen britischen Pässe nach dem Brexit wieder blau sein würden, ganz wie in der guten alten Zeit. Die Brexiteers waren begeistert, weil man die Kontrolle über die eigene Passfarbe zurück gewinnen würde. Sogar die Debatte darüber, ob die Pässe nicht eigentlich früher schwarz gewesen seien, oder zumindest sehr, sehr dunkelblau, erschien dabei als Kleinigkeit.
Die EU machte den Spielverderber und stellte klar, dass überhaupt keine bestimmte Farbe für Pässe vorgeschrieben sei. Die Briten hätten ihre Reisedokumente auch in rosa oder hellblau haben können. Kein Grund jedenfalls, deshalb die EU zu verlassen.
Inzwischen aber ist die Freude in Ärger umgeschlagen. Es stellte sich heraus, dass die neuen britischen Pässe vom französisch-niederländischen Unternehmen Gemalto gedruckt werden sollen. Das Unternehmen hatte in einer offenen Ausschreibung die Briten von De La Rue unterboten und den Vertrag über 490 Millionen Pfund gewonnen. Die frühere Brexit-Ministerin Priti Patel schäumte und nannte den Vorgang "anstößig" und "pervers". Wie können denn britische Pässe auf feindlichem Boden hergestellt werden?
Wollten die Briten nicht nach dem Brexit eine "globale Wirtschaft" werden? Stattdessen sieht man Protektionismus in Form nationalistischer Kirchturmpolitik. Es ist schon sonderbar.