EU und Briten geben sich gegenseitig Schuld
12. Oktober 2017Michel Barnier, der Unterhändler der Europäischen Union bei den Brexi-Gesprächen, konnte überhaupt nicht lachen. Sein Gegenüber, der britische Brexit-Minister David Davis, dagegen umso herzhafter, als beiden bei der Pressekonferenz in Brüssel die Frage gestellt wurde, warum sie eigentlich so schlecht verhandelten. Der Franzose Barnier hatte zuvor mit düsterer Mine verkündet, dass sich die Gespräche zum Brexit festgefahren hätten. "Wir haben keine nennenswerten Fortschritte erreicht. Wir sind nicht an dem Punkt, dass ich den 27 EU-Mitgliedsstaaten empfehlen könnte, nächste Woche beim Gipfeltreffen über die zukünftigen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich zu sprechen", sagte Barnier. Auch das Europäische Parlament und der Vorsitzende der Gipfelrunde, EU-Ratspräsident Donald Tusk, hatten sich bereits ähnlich geäußert.
Kein Wort über die Brexit-Rechnung
Voraussetzung für diese zweite Phase der Verhandlungen wäre es gewesen, dass sich die EU und das scheidende Großbritannien auf den Status von EU-Bürgern, die in Großbritannien leben, und Briten, die in der EU nach dem Brexit bleiben, geeinigt hätten. Außerdem sollte eine Regelung für die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland gefunden werden. Auch hier Fehlanzeige. Über den größten Brocken, die finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens, wurde bei dieser fünften Verhandlungsrunde schon gar nicht mehr gesprochen. Zwar habe Premierministerin Theresa May sich in ihrer Grundsatzrede in Florenz zu den finanziellen Verpflichtungen bekannt, "aber die britische Seite weigert sich, diese Verpflichtungen auch konkret zu nennen". Deshalb habe man nicht über Geld sprechen können, so EU-Verhandler Barnier frustriert.
Davis fordert neues Verhandlungsmandat für Barnier
David Davis nahm das alles gelassener. Er sieht, wie seine Premierministerin, den Ball im Feld der EU. "In der kommenden Woche sollten die 27 EU-Mitglieder das Mandat von Michel Barnier so verändern, dass er auch verhandeln - und Zugeständnisse machen kann", forderte David Davis ein ums andere Mal bei seinem Auftritt vor der Presse. "Mein Verhandlungsmandat ist absolut ausreichend, weil es sehr präzise ist", giftete Barnier zurück und legte dabei beteuernd die Hand auf die Brust. David Davis fummelte derweil an seiner Lesebrille und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Davis sprach von Fortschritten in einzelnen Punkten bei den Rechten für EU-Bürgern und rechtlichen Garantien für deren Durchsetzung. Was er genau meinte, blieb unklar, zumal Michel Barnier wieder verlangte, dass der Europäische Gerichtshof eine Rolle zu spielen habe bei der Durchsetzung dieser Rechte. Der Gerichtshof ist für die Brexit-Vorkämpfer aber ein leuchtend rotes Tuch.
Barnier lehnt Zugeständnisse ab
"Der Rat muss jetzt handeln", forderte Davis mit Blick auf den EU-Gipfel in der kommenden Woche, bei der Premierministerin May offenbar mit den übrigen 27 Staats- und Regierungschefs persönlich verhandeln will. Diese hatten solche Versuche schon mehrfach abgelehnt. Die Verhandlungen führt nur Michel Barnier, hieß es mehrfach aus dem Europäischen Rat. Barnier sagte, man könne vielleicht noch in den nächsten zwei Monaten zu einer Einigung bei den drei Fragen - Bürgerrechte, Nordirland, Brexit-Rechnung - kommen, um dann auch einmal über die zukünftigen Beziehungen der EU mit Großbritannien und eventuelle Übergangsphasen sprechen zu können. David Davis stellte auch diesen Zeitplan in Frage. "Über die Zukunft müssen wir jetzt sprechen", verlangte er. Michel Barnier gab auf eine Frage eines Reporters David Davis noch mit auf den Heimweg, dass es nicht darum gehe, dass die Europäische Union dem scheidenden Mitglied Großbritannien irgendwelche Zugeständnisse mache. "Es geht erst einmal darum, die Bedingungen festzuhalten und die Konsequenzen aufzuzeigen." Wie Großbritannien die EU verlasse, müsse es schon selbst organisieren.
Brexit-Gegnerin unterhält Pressesaal
Vor allem Journalisten aus Großbritannien und Irland stellen nach fünf erfolglosen Verhandlungsrunden zunehmend verzweifelt klingende Fragen, wie es denn nun weitergehen solle. Konkrete Antworten gab es keine. Fast genauso viel Aufmerksamkeit wie die beiden älteren Brexit-Herren in dunklen Anzügen erregte eine junge Frau aus Großbritannien, die sich in den Pressesaal gemogelt hatte. Madeleina Kay, eine Sängerin und Brexit-Gegnerin, hatte sich als "Supergirl" mit blauem Europa-Laibchen und rotem Cape verkleidet. Sie gab Interviews zu ihrem Buch "Theresa Maybe in Brexitland". Sie hatte sich vor der Pressekonferenz in der ersten Reihe platziert. Doch noch bevor Michel Barnier und David Davis das Podium betraten, wurde Anti-Brexit-Supergirl Kay von Sicherheitsleuten aus dem Saal geführt.