Politische Achterbahnfahrt dauert an
28. März 2019Am Ende brachten die sogenannten "Männer in grauen Anzügen" die erste Wende des Tages. Eine Delegation von Altvorderen der Konservativen überbrachten der Premierministerin die unerfreuliche Wahrheit, dass große Teile ihrer Partei das Vertrauen in sie verloren hätten. Das wusste Theresa May zwar längst, regierte aber weiter, als ob es sie nichts anginge.
Schon seit Wochen kursiert das Gerücht, die rechten Tory-Abgeordneten seien bereit, für das von Theresa May mit der EU verhandelte Austrittsabkommen zu stimmen, wenn sie gleichzeitig ihren Rücktritt ankündigte. Sie hatte lange gezögert, weil sie sich nicht von den Hardlinern aus dem Haus jagen lassen wollte. Am frühen Mittwochabend aber entschloss sie sich dann doch, auf ihr Schwert zu fallen. May sah keinen anderen Ausweg, weil sie nach Abstimmungsniederlagen und Ministerrücktritten in Serie keine Regierungsmehrheit hatte.
In einer emotionalen Rede vor der Fraktionssitzung der Konservativen erklärte die Premierministerin: "Ich habe die Stimmung verstanden. Ich weiß, dass es den Wunsch nach einem Neuanfang und einem Führungswechsel gibt." Sie sei bereit, ihr Amt früher zu verlassen als beabsichtigt, wenn ihr denn die Abgeordneten eine Mehrheit für den Brexit-Deal geben würden.
Der Saal war beinahe zu Tränen gerührt. So berichteten Abgeordnete, man habe Mays Würde gepriesen, ihren Sinn für Pflichterfüllung. Ober-Brexiteer Jacob Rees-Mogg feierte gar ihren "Mut im Abgang". So viele freundliche Worte hatte die Fraktion seit Langem nicht mehr für die Premierministerin gefunden. Dabei war allerdings die Begeisterung der Brexit-Clique unübersehbar, dass damit auch der Startschuss für den Wettstreit um die Nachfolge gefallen war.
Kurzer Triumph der Wendehälse
Boris Johnson, Michael Gove, Dominic Raab und andere bringen sich seit Wochen in Position; zuvor erwiesen sich ein paar von ihnen aber noch als begabte Wendehälse. Die Gruppe der harten Brexiteers und andere May-Gegner hatten bereits zweimal gegen Austritts-Deal der Premierministerin gestimmt. Nun aber erklärten sie plötzlich, man könne jetzt doch zustimmen. Jacob Rees-Mogg etwa begründete seine Meinungsänderung damit, dass ihm ein halbes Brot lieber sei als gar keins – also werde er jetzt für den Deal stimmen. Boris Johnson schloss sich an, ebenso wie Ian Duncan Smith und andere Rebellen.
Sie hatten in den letzten Tagen und Monaten das Austrittsabkommen den "schlechtesten Deal jemals" genannt, "Vasallentum", eine "Selbstmordweste" (Boris Johnson), deren Zünder die EU halte, "inakzeptabel" und so weiter. Die Aussicht auf einen harten Brexiteer als Nachfolger von Theresa May aber sorgte dafür, dass die starken Sprüche von gestern binnen Kurzem vergessen waren.
DUP zündet schließlich die Bombe
Beobachter hatten bald ausgerechnet, dass es wohl selbst nach den jüngsten Bekenntnissen zum Austrittsabkommen für Theresa May weiterhin nicht zu einer Mehrheit reichen würde. Sie hatte die zweite Abstimmung Mitte März immer noch mit 75 Stimmen verloren. Wenn also 20 bis 30 von den Hardlinern bei ihrem Nein blieben, würde es weiterhin nicht reichen.
Am späteren Abend aber zündete die nordirische DUP ihre Bombe. Man bedauere, sich nicht imstande zu sehen, die Premierministerin zu unterstützen. Und darüber hinaus könne man sich in einer so entscheidenden Frage zur Union von Nordirland und Großbritannien auch nicht enthalten.
Damit bleibt der Brexit-Deal so tot wie ein Dodo. Außerdem dürfte der Speaker des Unterhauses, der zuvor seine Warnung gegenüber einer dritten Abstimmung über den gleichen Vertrag wiederholt hatte, in dieser Situation eine Wiedervorlage verhindern.
Das Parlament sagt achtmal Nein
Auch der Traum des Parlamentes, es könne im Handstreich der Regierung die Kontrolle über die Zukunft des Brexit entreißen, erwies sich als Illusion. Die Abgeordneten scheiterten aber nicht an Verfahrensproblemen, denn sie hatten gegen den Willen der Regierung immerhin eine Reihe von acht Brexit-Varianten auf den Tisch des Hauses bringen können.
Sie scheiterten an ihrer eigenen Uneinigkeit. Obwohl es vorher parteiübergreifende Gespräche gegeben hatte, um Mehrheiten auszuloten, erhielt am Ende keine der angebotenen Varianten eine eben solche. Auch ein harter No-Deal-Brexit wurde dabei erneut von einer großen Mehrheit des Parlaments abgelehnt. Allerdings kam man damit keinen Schritt weiter, festzustellen, was denn eine Mehrheit der Abgeordneten stattdessen wünscht.
Am erfolgreichsten war dabei noch der Vorschlag, dass Großbritannien einfach in der Zollunion mit der EU bleiben solle. Aber auch hier fehlten acht Stimmen für die Mehrheit. Ebenso abgelehnt wurde die Norwegen-Lösung mit dem Binnenmarkt, ein neuer gemeinsamer Markt 2.0, die Rücknahme von Art. 50 oder ein zweites Referendum.
Diese Abstimmungsserie auf hellgrünem Papier zerstörte jede Hoffnung der gemäßigten Abgeordneten, das Parlament könne statt der Regierung die Geschicke des Landes in puncto Brexit übernehmen. Diese "hinweisgebenden Abstimmungen" waren ein Schlag ins Wasser.
In Brüssel müssen sie sich die Haare raufen, weil die Briten nun immer noch nicht sagen können, "was sie wirklich wollen". Die Parteien, die Regierung und die Öffentlichkeit sind so tief zerstritten über den Brexit, dass jeder Kompromiss unmöglich scheint. Großbritannien steckt weiter in der Sackgasse. Damit rückt ein harter Brexit am 12. April näher, wenn sich nicht noch eine parlamentarische Mehrheit für eine Verlängerung bis Ende des Jahres findet. Das allerdings würde bedeuten, dass das Land an den Europawahlen im Mai teilnehmen müsste.
Gibt es für May einen Rücktritt vom Rücktritt?
Auch Theresa Mays Schicksal dürfte mittelfristig besiegelt sein. Es ist kaum vorstellbar, dass ihre Partei ihr einen Rücktritt vom Rücktritt erlaubt, selbst wenn sie ihn nur unter Konditionen angeboten hatte. Eine Regierungschefin, der dauerhaft die Mehrheit im Parlament fehlt, muss irgendwann den Versuch aufgeben, zu regieren.
Überhaupt ist kaum vorstellbar, wie sie in dieser Situation das Land weiter durch die anhaltende Brexit-Krise steuern wollte. Die einzigen demokratischen und vernünftigen Lösungen wären jetzt Neuwahlen und/oder ein zweites Referendum. Aber dazu sagt Theresa May in unwandelbarem Starrsinn immer wieder "Nein". Nach diesem weiteren Tag voller Drama und großem politischem Theater stehen die Briten am exakt gleichen Punkt wie am Morgen zuvor. Es ist eine Art rasender Stillstand - und niemand scheint den Schlüssel zu finden, um das Karussell anzuhalten.