Brexit lässt Plattenbranche rotieren
17. Februar 2019"I see you've sent my letters back, and my LP records and they're all scratched." Die Briefe zurückgeschickt, die Schallplatten verkratzt - so besang die britische Band The Police das Ende einer Beziehung in "Can't Stand Losing You". Aber vielleicht sollte man jetzt eher an die Trennung der Briten von der EU denken. Denn im Zusammenhang mit einem möglicherweise harten Brexit könnten auf die Plattenindustrie mehr als oberflächliche Kratzer zukommen.
Vor einem Jahrzehnt lag die Schallplatte quasi auf dem Totenbett. Im Jahr 2007 wurden armselige 205.000 Exemplare abgesetzt, überwiegend an Liebhaber, die Sehnsucht nach analogen Tonträgern hatten und die das Digitale ins - nun ja, ins Rotieren brachte.
Vorspulen in die Gegenwart: Der Schallplattenabsatz im Vereinigten Königreich hat sich auf 4,2 Millionen Stück verzwanzigfacht - und schlägt sogar Downloads. Tendenz steigend, zum Teil dank gefeierter Künstler wie die Arctic Monkeys oder Jack White, die die Trommel rühren für Vinyl.
Platten pressen auf dem Kontinent
Dieses Comeback könnte im Falle eines harten Brexits allerdings von kurzer Dauer sein. Es gibt nur wenige Unternehmen in Großbritannien, die noch Schallplatten herstellen. Die große Mehrzahl der Platten wird auf dem Festland gepresst. Falls Großbritannien die Zollunion verlässt, würden auf alle Einfuhren aus der EU Zölle erhoben. Das hätte einen verheerenden Effekt auf den Umsatz und die Gewinnspanne für die Labels - vor allem für die kleinen, unabhängigen.
"Fast alle Schallplatten, die in Großbritannien verkauft werden, werden in EU-Staaten hergestellt, sei es in der Tschechischen Republik oder in Deutschland. Die Presswerke werden in der EU bleiben und die Platten müssen ins Vereinigte Königreich eingeführt werden. Jede Verzögerung und alle zusätzlichen Ausgaben werden auf die Produktionskosten draufgeschlagen und reduzieren natürlich den Profit", so Ian Moss vom Branchenverband British Phonographic Industry (BPI) zur DW.
Einige der Presswerke auf dem Festland haben angekündigt, sie würden einen Umzug nach Großbritannien prüfen. Aber das könnte leichter gesagt als getan sein, denn das meiste Material für die Herstellung kommt ebenfalls aus dem Ausland.
Wandel der Warenwege
"Obwohl die Platten außerhalb gepresst werden, passiert gerade ganz viel bei den Warenlagern in Großbritannien. Die Ware wird jetzt hierhergebracht und dann von hier aus in die Welt verschickt. Ich glaube, das wird eine entscheidende Veränderung sein: Unsere eigenen Veröffentlichungen und kleinen Plattenlabel werden überlegen, Lager außerhalb Großbritanniens zu haben", sagt Gee Davy vom Interessenverband unabhängiger Labels, der Association of Independent Music (AIM) in London.
Die zusätzlichen Belastungen und Kosten könnten für kleine, unabhängige Plattenfirmen das Aus bedeuten. "Als erstes muss man sicherstellen, dass bei der Produktion genug Zeit einkalkuliert wird, alles über den Kanal zu kriegen - trotz möglicher Schlangen und Verzögerungen an der Grenze. Jede Erhöhung der Kosten schmälert den Profit. Das trifft vor allem kleine Labels und kleine Bands. Schallplatten sind wirklich ein populäres und hochwertiges Produkt und ein wichtiger Teil im Einnahmemix der Unternehmen - und zwei Drittel unserer Mitglieder sind kleine Firmen", betont Branchenverbands-Sprecher Moss.
Falls der Brexit die Produktionskosten der Plattenfirmen erhöht, wird es die Verbraucher mit voller Wucht treffen. Die durchschnittliche LP ist mit rund 20 Euro schon jetzt nicht billig. Wenn Musikfans noch mehr berappen müssten, könnte sie das von Plattenkäufen abhalten. Darüber hinaus wird ein harter Brexit zweifelsohne die gesamte britische Wirtschaft belasten, so dass Verbraucher vermutlich zwei Mal überlegen, wofür sie ihr Geld ausgeben.
Lieferengpässe für Labels
Wenn Sie derzeit eine Schallplatte bestellen, sagen wir mal, beim Plattenlabel Rough Trade Records in London, dann stehen die Chancen gut, dass sie mit Expresszustellung am nächsten Tag bei Ihnen ist. In einer Welt nach einem harten Brexit gerät diese geschmeidige Lieferkette ins Stocken. Zölle, Grenzkontrollen und zunehmende Bürokratie könnten viele kleine, unabhängige Labels, Plattengeschäfte und aufstrebende Künstler zwingen, ihre Einstellung zu Vinyl zu überdenken - spätestens, wenn die Kosten den Nutzen überwiegen.
Dazu kommt die Frage der Freizügigkeit: Falls die Freizügigkeit eingeschränkt oder versagt wird, träfe das besonders Künstler, die ihre Karriere beginnen und für ihren Lebensunterhalt darauf angewiesen sind, von Auftritt zu Auftritt zu reisen. Sie könnten dann nur schwer ein internationales Publikum auf dem Kontinent aufbauen und sie hätten kaum noch Gelegenheit, bei Veranstaltungen dort ihre Alben - und das heißt immer öfter: ihre Platten - zu verkaufen.
Obgleich noch nicht klar ist, auf welche Art Brexit das Vereinigte Königreich zusteuert, erlebt das Britische Pfund bereits starke Schwankungen. Da die Mehrzahl der Schallplatten in Großbritannien vom europäischen Festland importiert wird und die Pfundschwäche schlechte Wechselkurse für die Briten nach sich zieht, sind die Einfuhrkosten ohnehin schon gestiegen - und die Preise für Schallplatten.
Ungewisse Zukunft für Vinyl
Steht das Plattenrevival also vor dem Ende angesichts der Ungewissheiten rund um den Brexit? "Schallplatten sind bei Fans total beliebt. Sie sind ein kleiner, aber wichtiger Teil des Marktes. Und sie sind ein wirklich gutes Produkt. Die Leute mögen die Covergestaltung, die Innenhüllen, die Verpackung. Das ist das Besondere und Einmalige an Schallplatten und darum sind sie so populär", erklärt Ian Moss vom Branchenverband.
Diese Popularität, glaubt Gee Davy von den unabhängigen Labels, war der wirtschaftliche Zündfunke für viele kleine und spezialisierte Läden. "Einige unabhängige Plattenläden in Großbritannien haben berichtet, dass sie nur darum expandieren konnten, weil die Schallplatte ein Revival erlebt."
Sowohl Moss als auch Davy betonen, dass die Unsicherheit rund um den Brexit sowie die Tatsache, dass die Regierung keine Richtung vorgibt, es fast unmöglich machen, die vollen Auswirkungen auf die Branche vorherzusagen.
Davy beschuldigt die Regierung, sie habe die Bedeutung der Kunst- und Kulturbranche insgesamt zu lange ignoriert. "Die sanfte Macht der Musik ist phänomenal. Ich glaube, viel von unserer Handelsmacht hat mit unserer kulturellen Kraft zu tun. Es ist ein absolutes Drama für die Musikbranche, wie der Brexit sich entwickelt. Ich glaube, dass er uns für viele Jahre schweren Schaden zufügen wird, weil die Regierung sich nicht genug auf den Kulturbereich konzentriert."