EU bleibt beim Brexit hart
20. September 2018"Da waren wir uns heute alle einig, dass es in Sachen Binnenmarkt keine Kompromisse geben kann", sagte Merkel in Salzburg nach Abschluss des zweitägigen informellen EU-Gipfels. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk hat dem Plan der britischen Regierung zur Ausgestaltung der künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit eine Absage erteilt. Der Plan von Premierministerin Theresa May "wird nicht funktionieren", sagte Tusk.
Die EU-27 hätten eine "hohe Geschlossenheit" bei den Verhandlungen mit Großbritannien, sagte Merkel. EU-Chefunterhändler Michel Barnier werde die Verhandlungen nun auf der Basis der Beratungen in Salzburg fortsetzen. Allerdings könne man in den Verhandlungen auch sehr viel Kreativität entwickeln, um praktikable und gute Lösungen zu finden, so die Bundeskanzlerin.
Hintergrund ist der Wunsch von Premierministerin Theresa May, den Zugang ihres Landes zum EU-Binnenmarkt für Waren auch nach dem EU-Austritt möglichst weitgehend zu erhalten.
Sondergipfel?
Bis Oktober wolle man ein "substanzielles Stück" vorankommen, sagte Merkel. Die EU-27 hätten den Anspruch, die Verhandlungen über ein Austrittsabkommen und die politische Erklärung über die zukünftigen Beziehungen bis November zu finalisieren. Wichtig sei, die sehr gute Atmosphäre in den Gesprächen mit London zu erhalten. "Denn Art und Weise, wie wir uns einigen, wird über die zukünftigen Beziehungen viel mitbestimmen", mahnte die Kanzlerin.
Auf einen Sondergipfel im November einigten sich die Staats- und Regierungschefs nicht. Der Moment der Wahrheit werde beim EU-Gipfel Mitte Oktober sein, sagte EU-Ratschef Donald Tusk. Dann werde man bewerten, ob es genügend Fortschritt bei den Verhandlungen gebe. Am Vortag hatte Tusk noch angekündigt, er werde den übrigen EU-Staaten einen Sondergipfel Mitte November vorschlagen. Damit hätten die Unterhändler rund vier Wochen mehr Zeit gehabt. Die Brexit-Verhandlungen sind festgefahren. Knackpunkte sind Handelsfragen und das brisante Problem der künftigen EU-Außengrenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland.
Eventuelle Zusammenarbeit mit Ägypten
Zuvor hatte sich die EU nach Angaben des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz darauf geeinigt, eine engere Zusammenarbeit mit Ägypten zu prüfen, um die ungesteuerte Zuwanderung nach Europa einzudämmen. Mit Ägypten gebe es erstmals ein nordafrikanisches Land, das zu vertieften Gesprächen in diesem Bereich bereit zu sein scheine, sagte Kurz (Artikelbild) am Rande des informellen EU-Gipfels in Salzburg. "Das ist eine Riesenchance, die wir nutzen sollten." Alle EU-Staats- und Regierungschefs hätten EU-Ratspräsident Donald Tusk und ihn selbst in Salzburg gebeten, diese Gespräche aufzunehmen. Die beiden Politiker hatten den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi erst am Wochenende in Kairo besucht.
Wenn sichergestellt werde, dass nach einer Rettung im Mittelmeer "die Menschen nicht nach Europa gebracht werden, sondern zurückgestellt werden in die Transit- oder Herkunftsländer, dann lösen wir die Migrationsproblematik an der Außengrenze", erklärte Kurz. Mit der Option der Kooperation mit Ägypten sei man diesem Ziel einen großen Schritt nähergekommen. Ägyptens Regierung sei "effizient", seit 2016 verhindere sie, dass Schiffe mit Flüchtlingen nach Europa ablegten. Damit habe sie die illegale Migration fast vollständig unterbunden. "Dafür sollten wir dankbar sein", fügt Kurz hinzu.
Österreich hat seit Juli bis Dezember den rotierenden EU-Ratsvorsitz inne. Kurz hatte deshalb zu dem zweitägigen Gipfel nach Salzburg eingeladen, der sich an diesem Donnerstag schwerpunktmäßig mit der Sicherheitspolitik und dem Brexit beschäftigen sollte. Am Mittwochabend hatte die Migrationspolitik auf der Agenda gestanden.
Skepsis bei Verteilung von Flüchtlingen
Mit Blick auf die Umverteilung von Flüchtlingen in Europa gab sich Kurz sehr zurückhaltend: "Ich glaube, dass die Debatte über die Flüchtlingsverteilung in Europa nicht die Lösung für die Migrationsfrage sein wird." Sein Land werde im EU-Ratsvorsitz dieses Thema zwar weiterverfolgen, weil viele andere EU-Mitgliedstaaten dies wünschten. Tatsächlich werde das Problem jedoch an der Außengrenze und mit Drittländern gelöst werden müssen.
Laut Kurz sind sich die EU-Staats- und Regierungschefs ferner einig, "dass wir auch mit anderen Staaten in eine Kooperation eintreten werden". Dabei gehe es um eine Stärkung der Küstenwachen in Nordafrika. Dies solle sicherstellen, "dass Boote gar nicht erst ablegen" und Flüchtlinge, "und wenn sie ablegen (...) möglichst schnell gerettet werden und zurückgestellt werden."
Im Juni hatte der EU-Gipfel beschlossen, schnell Aufnahmelager für auf See gerettete Flüchtlinge in Nordafrika zu prüfen. Bisher hat sich aber kein Land dazu bereit erklärt. Die EU will nach Angaben von Diplomaten aber weiter versuchen, die Regierungen zu überzeugen, indem sie ihnen eine breiter gefasste Zusammenarbeit auch im Wirtschaftsbereich anbietet.
Juncker setzt auf baldigen Konsens
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erwartet eine Einigung der Europäischen Union über einen stärkeren Schutz der Außengrenzen bis Ende des Jahres. Es habe in den Beratungen der Staats- und Regierungschefs am Mittwochabend zwar keine "nennenswerten Fortschritte" gegeben, sagte Juncker zum Auftakt des zweiten Gipfeltages in Salzburg. "Aber ich glaube, dass wir uns über den Außenschutz der Grenzen noch in diesem Jahr verständigen werden."
Zuvor hatte Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel erklärt, dass sich die Debatte über Flüchtlingspolitik in der EU entspannt habe. "Wir hatten eine viel bessere Atmosphäre als in letzten Wochen und Monaten", sagte Bettel zu den Diskussionen am Mittwochabend. Er warnte aber erneut, die Flüchtlingsdebatte ausschließlich auf Abschottung und Zurückweisung zu konzentrieren oder nur über den Preis der Flüchtlingspolitik zu reden. "Wir sprechen über Menschen, nicht Waren oder Teppiche", sagte Bettel.
cgn/uh (epd, afp, dpa, rtr)