Brexit-Debatte: "Wir wollen keine Revanche"
5. April 2017So kennt man Nigel Farage, den ehemaligen Ukip-Chef und Kopf der Brexit-Bewegung. Minutenlang fällt er vor allem durch lautes Lachen und störende Kommentare auf. Dann ergreift er selbst das Wort und die Brexit-Debatte hat ihren ersten Eklat: die EU sei wie die Mafia, sagt Farage zu den finanziellen Forderungen der Union. Der italienische Parlamentspräsident Tajani grätscht dazwischen und belehrt den Briten über die Bedeutung des Wortes Mafia. "Gut, dann sage ich eben Gangster", erwidert Farage. Auf den Plätzen der euroskeptischen EFDD wackeln die Miniatur-Union-Jack-Flaggen, die Abgeordneten grinsen, klatschen, johlen.
Es sind gewohnte Szenen im Europäischen Parlament, aber heute ist die Luft noch etwas dicker als sonst: Auf der Tagesordnung in Straßburg steht die Brexit-Debatte - das Europäische Parlament reagiert auf das Austrittsgesuch Theresa Mays vom 29. März. Sobald es zu einer Brexit-Vereinbarung zwischen EU und Großbritannien kommt, muss das Parlament diese bestätigen. Die Abgeordneten debattieren über die Voraussetzungen dafür.
Die Rechte der Bürger haben Priorität
Im Vordergrund der Resolution stehen die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten, die in der EU leben. Ihre Interessen sollen bei den Verhandlungen Priorität erhalten. Eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Irischen Republik soll nach dem Brexit um jeden Preis vermieden werden. Und die Briten sollen ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber der EU erfüllen - von bis zu 60 Milliarden Euro ist die Rede. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, könne über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geredet werden, so der Wille des Parlaments in Straßburg.
Farages Worte sind deutlich: Er spricht von einer Erpressung durch die EU, von "Heuchelei" und "Rache". "60 Milliarden Euro, woher kommt diese Zahl? Sie sollten uns über die Jahre eher noch etwas mitgeben", EU-Ratspräsident Donald Tusk würde wahrscheinlich noch immer heulend in der Ecke sitzen, spottet er. "Es gibt draußen auch noch eine Welt, die ist größer als die EU. Wenn sie uns zwingen, dass wir die Union auf diese Art verlassen und eine Rückkehr zu Strafzöllen wollen, wird das die Arbeitsplätze hunderttausender Bürger kosten".
Gefährliche Kriegsrhetorik
Die rechtspopulistische ENF springt dem Brexit-Vorkämpfer bei, Marcel de Graaff zitiert Winston Churchill und will damit auf die Situation Großbritanniens verweisen: "Wir verteidigen unsere Insel, egal wie hoch der Preis sein mag." Mit denselben Worten stimmte der britische Premierminister während des Zweiten Weltkriegs die Briten auf den Widerstand gegen Hitler-Deutschland ein. Ist diese Wortwahl angebracht?
Nein, findet Sozialdemokrat Ramón Jauregui Atondo (S&D). Die Debatte habe zum Teil gefährliche Züge angenommen, sagt er gegenüber DW nach der Abstimmung des Parlaments über den Entschließungsentwurf der EU. "Es wurde zu viel von Krieg gesprochen, das ist nicht gerade die beste Voraussetzung für die bevorstehenden Verhandlungen". Farage spiele Theater, "er ist nur ein Provokator", so Jauregui Atondo.
Der Unmut des Brexit-Vorkämpfers Farage zielt auf die Forderung der EU, zunächst den Brexit und erst danach künftige Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU zu verhandeln. Umstritten auch die Haltung der EU zur britischen Exklave Gibraltar. Doch Parlamentspräsident Tajani zeigt sich wenig beeindruckt. Gegen Ende der Debatte entschuldigt sich auch die britische Premierministerin Theresa May aus London. Sie verbitte sich die Wortwahl ihres Kollegen, weder "Gangster" noch "Mafia" seinen im Kontext angebracht.
"Menschen sind keine Verhandlungsmasse", sagt Jean-Claude Juncker
"Wir wollen konstruktive Verhandlungen und keine Revanche", sagt CDU-Europaabgeordneter Elmar Brok vor dem Parlament. "Wir wollen keine Rhetorik des Krieges, sondern an eine EU erinnern, die seit 70 Jahren Frieden garantiert." Das Parlament sei kein nationalistisches Diskussionsform der Vergangenheit, betont Brok.
Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (CSV/PCS) sprach sich deutlich gegen einen Konfrontationskurs mit den Briten aus. Es gehe schließlich nicht nur um Verträge und Paragrafen, sondern um das Leben von vielen Millionen Menschen. "Menschen sind keine Verhandlungsmasse", Juncker wolle der Fürsprecher der Betroffenen sein.
Das Treffen der Abgeordneten sollte der Versuch eines Kompromisses sein. Die Diskussion im Parlament ist emotional. Am Ende steht ein klares Ergebnis. Über 500 der knapp 700 Abgeordneten stimmten für den vorgelegten Entwurf, der auch die von Donald Tusk vorgestellten Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen zum Großteil widerspiegelt. Der Brexit wird sich phasenweise vollziehen. Die Parlamentarier stimmten in großer Zahl gegen die Wünsche Londons parallel zu den Austrittsverhandlungen Diskussionen über mögliche Handelsabkommen zu starten.
Kluger Vertrag statt starke Sprüche
"Das Ergebnis ist der Beweis für die Einigkeit zwischen den fünf großen Parteien", sagt der Spanier Ramón Jauregui Atondo im Gespräch mit DW am Nachmittag. Doch das klare Ergebnis habe sogar ihn überrascht.
Die eigentliche Spaltung beim Thema Brexit vollziehe sich zwischen Briten und Europäern, nicht zwischen den Parteien, sagt auch der Konservative Richard Sulik (ECR). Es sei wichtig, dass die Öffentlichkeit sehen kann, wer im Parlament die starken Sprüche klopft und wer professionell bleibt. "Die wichtigen Akteure kommen langsam zur Einsicht, dass es viel wichtiger ist, einen klugen Vertrag zu beschließen, als alle Reden, die heute hier gehalten wurden", sagt Sulik.
Der Konservative David James McAllister (CDU), Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments, bezeichnet den Brexit als "historischen Fehler", auch er plädiert für eine ruhige und nachsichtige Verhandlung mit den Briten - "ohne einen Geist der Rache". Der Sohn eines Briten und einer Deutschen ist enttäuscht von der Entscheidung Großbritanniens, die EU verlassen zu wollen: "Lasst es uns abschließen. Und lasst es uns auf eine geregelte Weise abschließen. Das Vereinigte Königreich wird ein wichtiger Partner bleiben und ein NATO-Mitglied".
Die Tür bleibt offen
Es gibt viele Parlamentarier, die noch nicht ganz aufgegeben haben. Sie hoffen, dass sich die Briten im Laufe der Verhandlungen noch gegen ein Verlassen der EU entscheiden werden. Die Tür sei immer offen, sagt Gianni Pitella, Fraktionsvorsitzender der europäischen Sozialdemokraten (S&D). Doch für Nigel Farage und seine EFDD kommt das sicher nicht in Frage. Er wirft der EU vor, Großbritannien als Geisel zu halten: "Thank godness! We're leaving". Glücklicherweise würde man ja jetzt die EU verlassen, so Farage.