Abfuhr für Theresa May
7. März 2018"Ich verstehe das Ziel von Theresa May, zu zeigen, dass der Brexit ein Erfolg sein könnte", sagt EU-Ratspräsident Donald Tusk zur Grundsatzrede der britischen Premierministerin. "Aber, tut mir leid, das ist nicht unser Ziel", fügt er hinzu. Er sei extra noch einmal nach London gefahren, um mit May über den Entwurf der Verhandlungsrichtlinie von EU-Seite zu sprechen und ihre Argumente anzuhören. Aber es könne keine Teilausschnitte des Binnenmarkts nur für bestimmte Wirtschaftsbereiche geben.
Theresa May hatte die Wünsche ihrer Regierung an die Europäer formuliert: Großbritannien will aus dem Binnenmarkt, der Zollunion und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes aussteigen. Dennoch möchten die Briten eine Sonderbehandlung und zum Beispiel bei der Auto- oder Pharmaindustrie so nah an EU-Regeln bleiben, dass sie weiter einen privilegierten Zugang zum Binnenmarkt behalten können. Und sie wollen darüber hinaus ein Zollabkommen, dass die Vorteile der bestehenden Zollunion erhält, ohne allerdings dessen Einschränkungen. "Doppeltes Rosinenpicken" nannten EU-Diplomaten diesen Ansatz.
Ein Abgrund zwischen UK-Wünschen und EU-Angeboten
Zum Binnenmarkt etwa wird klar festgestellt: Ein künftiges Abkommen könne nicht die gleichen Vorzüge bringen wie die Mitgliedschaft und kann nicht bedeuten, dass Großbritannien am Binnenmarkt oder Teilen davon teilnehmen kann. "Es geht hier nicht nur um das Geschäftemachen", fügte der luxemburgische Premier Xavier Bettel hinzu, "es geht auch um die Freiheiten" (der Bürger, von Dienstleistungen, Kapital und Waren). Man wolle zwar einen "intelligenten Brexit", sagte der Luxemburger, der Donald Tusk bei der Vorstellung der Richtlinien assistierte, aber "es wird keine Gewinner geben".
Ähnliches gilt für die Zollunion: Ein Drittland, das außerhalb der Zollunion stehen will, kann nicht gleichzeitig ein neues Zollabkommen mit den gleichen Bedingungen abschließen - und darüber hinaus eigene Abkommen mit Drittländern.
Knallhart ist auch die EU-Position zur britischen Teilhabe an ausgewählten EU-Agenturen, etwa für die Luftfahrt oder die Medikamentenzulassung, die May in ihrer Rede angesprochen hatte: "Die Teilnahme des Vereinigten Königreiches als Drittland an EU-Institutionen, Agenturen oder Körperschaften ist ausgeschlossen."
Der Schlüssel zu dieser Position liegt vielleicht in dem Wort Drittland: Nachdem die Briten am 29. März 2019 aus der EU austreten - und der Automatismus dafür läuft unerbittlich - verlieren sie damit zunächst alle ökonomischen und sonstigen Rechte. Die künftige Beziehung muss nach Auffassung der Europäer von Grund auf neu errichtet werden.
Und noch eines: Wenn die Briten den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen, wie sie es angekündigt haben, müssen sie mit Reibungsverlusten rechnen. "Reibungslosen" Handel und Grenzverkehr, von dem die britische Premierministerin immer spricht, könne es nicht mehr geben.
Keine Mauern, aber ein schlichtes Handelsabkommen
"Wir wollen keine Mauern nach dem Brexit bauen", erklärt der Präsident des Europäischen Rates zu seinem Angebot an die Briten, man bleibe verbunden als Nachbarn und Freunde. Aber angesichts der roten Linien auf britischer Seite bleibe als Form des künftigen Verhältnisses nur ein Freihandelsabkommen.
Die EU werde ihr Bestes tun, wie zuletzt bei der CETA-Vereinbarung mit Kanada, aber es werde dennoch nur ein Handelsabkommen. Das Abkommen solle alle Wirtschaftsbereiche beinhalten und umfassende Zollfreiheit gewähren. Und über den Austausch von Dienstleistungen müsse verhandelt werden.
Die einfache Tatsache aber bleibe, dass man durch den Brexit auseinanderdriften werde. Dieses Handelsabkommen sei das erste in der Geschichte, das wirtschaftliche Beziehungen lockern statt enger gestalten werde. Die künftige Vereinbarung werde "den Handel zwischen dem Königreich und der EU nicht reibungsloser oder glatter machen, sondern er wird komplizierter und teurer als heute. Für alle von uns".
Der Brexit-Test
Das künftige Abkommen mit Großbritannien muss zwei Tests bestehen, erklärt Donald Tusk:
1. Es muss ein Gleichgewicht zwischen Rechten und Verpflichtungen geben. Die EU kann den Briten zum Beispiel nicht die Rechte Norwegens gewähren, aber nur die Verpflichtungen von Kanada.
2. Die Integrität des Binnenmarktes muss erhalten bleiben. Kein Mitgliedsland kann sich dabei nur die Teile heraussuchen, die ihm gefallen. Oder die Rolle des Europäischen Gerichtshofes nur von Fall zu Fall akzeptieren. Demzufolge ist eine "bunte Tüte" von ausgewählten Vorteilen und Marktzugängen für einen Drittstaat ganz undenkbar: "Diese Prinzipien werden wir nicht opfern. Es ist einfach nicht in unserem Interesse."
Wo bleibt das Positive?
Die EU verhüllt ihre harte Ansage mit ein paar blumigen Worten und bietet über ein Freihandelsabkommen hinaus einige Sonderregelungen an. In der Verteidigungs- und Außenpolitik, bei Terrorabwehr und Kampf gegen das Verbrechen wolle man weiter zusammenarbeiten. Die Sicherheit der Bürger müsse dabei an erster Stelle stehen.
Das Gleiche soll für Wissenschaft und Forschung, Bildung und Kultur gelten. Außerdem haben die Europäer auch ein Interesse daran, den gegenseitigen geregelten Zugang zu den Fischereigewässern und Beständen weiter zu gewähren. Gerade am letzten Wochenende hatte Chefunterhändler Michel Barnier dänische Fischer auf ihrem Kutter in der Nordsee beruhigt, dass sie auch nach dem Brexit noch Heringe fangen könnten.
Kein Wunschkonzert
Die Rundum-Absage an den Großteil der britischen Wünsche von Seiten der EU ist deutlich. Ebenso wie sich inzwischen auch bei vielen Regierungschefs eine gewisse Gereiztheit bemerkbar macht, weil die Vorschläge aus London weiter wolkig bleiben. "Ich will konkrete Stellungnahmen", sagte der luxemburgische Ministerpräsident noch einmal, wie schon zuvor sein niederländischer Kollege und weitere Regierungschefs der 27.
Große Unzufriedenheit gibt es ringsum auch wegen des schwierigen Problems der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland. Der irische Taoiseach (Premierminister) Leo Varadkar habe auf sein Drängen nach einem konkreten Vorschlag zur Vermeidung einer harten Grenze nach dem Brexit von der britischen Regierung bisher noch keine Antwort bekommen. Die Ideen der Premierministerin dazu werden als vage und nicht praktikabel abgetan. Die Grenzfrage könnte sich schnell zur größten unüberwindbaren Hürde der Verhandlungen aufbauen.
Und bei alldem läuft die Zeit: Der Brexit wird in gut einem Jahr unausweichlich stattfinden, wenn die Briten nicht noch versuchen, den Artikel 50 auszusetzen oder sonstwie die Uhr anzuhalten. Und was das neue Freihandelsabkommen angeht, bleibt die Frage, ob man in London weiß, dass die Gespräche der EU mit Kanada über CETA sieben Jahre gedauert haben. Da könnte Großbritannien noch eine sehr lange Übergangszeit bevorstehen.