Braunkohleabbau: Tschechien stellt Polen Ultimatum
22. Februar 2021Eigentlich sind die Beziehungen zwischen Tschechien und Polen seit Jahrzehnten geradezu harmonisch. Wenn die Präsidenten, Premierminister und Botschafter in Prag und Warschau überhaupt Problematisches zu besprechen hatten, dann ging es nicht um das bilaterale Verhältnis zwischen den beiden EU-Mitgliedsländern, sondern um ihre Beziehungen zu Brüssel, zur NATO oder zu Russland.
Gar nicht in dieses Bild der Harmonie passt der jüngste Besuch des Prager Außenministers Tomáš Petříček in Warschau (12.02.2021): Tschechiens Chefdiplomat stellte der Republik Polen ein Ultimatum.
Es geht um den Braunkohle-Tagebau im südpolnischen Turów. Während die Regierungen der EU-Länder einschließlich Tschechiens beschlossen haben, die extrem klimaschädliche Form der Energiegewinnung möglichst bald einzustellen, hat Polen eine Ausweitung seines Braunkohle-Abbaus bis 2044 angekündigt. Dabei soll der heute bereits riesige Tagebau Turów im Dreiländereck Tschechien-Polen-Deutschland auf 30 Quadratkilometer erweitert und die Grube, in der die Braunkohle abgebaut wird, auf bis zu 330 Meter Tiefe ausgebaggert werden.
Nun fordert Prag von Warschau, dass auf der polnischen Seite der Grenze ein Erdwall errichtet wird, der die Bürgerinnen und Bürger in Tschechien vor der Staubbelastung aus dem Tagebau schützt. Zudem soll Polen eine Entschädigung von rund 40 Millionen Euro für die Gefährdung der Trinkwasserversorgung und die Finanzierung neuer Brunnen zahlen. Und: Das gesamte Ausbauprojekt soll von einer gemeinsamen tschechisch-polnischen Expertenkommission begleitet werden.
Letzte Chance für Warschau
Entspricht Polen diesen Forderungen nicht, will die Tschechische Republik das Nachbarland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verklagen. In der Note, die Außenminister Petříček der polnischen Regierung übergeben hat, fordert Prag in diesem Fall, den Bergbau in Turów durch eine einstweilige Verfügung des EuGH gänzlich einzustellen.
"Ich wollte Warschau eine letzte Chance geben, bevor mein Außenministerium zusammen mit dem Umweltministerium auf einer Regierungssitzung vorschlägt, Polen zu verklagen", kommentierte Petříček das Ultimatum gegenüber der DW. "Ich bin auf der Seite der tschechischen Bürger," so der Minister weiter, "die Auswirkungen des Bergbaus auf das Leben von Zehntausenden Menschen an der tschechischen Grenze sind schließlich unbestritten."
Kein Kommentar aus Polen
Gleichzeitig sei er jedoch Diplomat und habe die Aufgabe, politische Probleme möglichst außergerichtlich zu lösen, sagte Petříček nach Gesprächen mit seinem polnischen Amtskollegen Zbigniew Rau. Gegenüber der DW fügte der Außenminister hinzu: "Bei einer positiven Reaktion der polnischen Seite könnten wir uns relativ leicht einigen."
Bisher jedoch hat die polnische Regierung die tschechischen Forderungen zumindest öffentlich nicht kommentiert. "Die Reaktion war nicht eindeutig negativ", so Petříčeks Einschätzung im Gespräch mit der DW. Wird das Prager Ultimatum nicht erfüllt, werde Tschechiens Regierung "sehr schnell und sehr hart" vorgehen.
Klage noch im Februar?
"Wir bereiten derzeit den Text einer möglichen Klage sowie einen Vorschlag für eine vorläufige Maßnahme vor, um den Braunkohle-Abbau in Turów sofort einzustellen. Die Regierung will noch im Februar entscheiden, ob die Klage eingereicht wird", bestätigte der stellvertretende Außenminister Martin Smolek.
Hoffnung auf Erfolg der Klage macht in Prag eine Stellungnahme der Europäischen Kommission im Dezember vergangenen Jahres: Polen habe bei der Genehmigung des Ausbaus von Turów tatsächlich gegen "seine Verpflichtungen aus vier EU-Richtlinien und dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU" verstoßen, unter anderem "bei der Anwendung europäischer Richtlinien zur Umweltverträglichkeitsprüfung".
Sachsen wehrt sich, Berlin schweigt
Seit Beginn der Bewohner-Proteste an der polnisch-tschechischen Grenze gegen die Erweiterung des Tagebaus Turów vor zwei Jahren ist das Thema vom tschechischen innenpolitischen Streitpunkt zu einer europäischen Angelegenheit geworden: Hunderte tschechische Umweltaktivisten demonstrieren mittlerweile regelmäßig zusammen mit polnischen Gleichgesinnten gegen die Warschauer Ausbaupläne.
Und auch auf deutscher Seite der Grenze stoßen Polens Pläne, das Dreiländereck an den Grenzen zur Tschechischen Republik und zu Deutschland weiter umzupflügen, auf Widerstand. Was Wunder: Laut Studien gefährdet der Ausbau von Turów sowohl die Stabilität des Bodens als auch die Wasserversorgung der Bevölkerung auch in der Nähe der sächsischen Städte Zittau und Görlitz. Vertreter beider Gemeinden forderten Ende 2020 zusammen mit lokalen Bürgerverbänden den sächsischen Landtag auf, ähnliche Klagen gegen Polen einzureichen, wie sie die Tschechische Republik androht.
Die deutsche Europaabgeordnete Anna Cavazzini (Die Grünen/EFA) unterstützt den Schritt. Sie bezeichnet die polnischen Pläne - abseits aller Bedenken bezüglich Bodenstabilität und Trinkwasserversorgung - als Verstoß gegen die Klimaziele der Europäischen Union. Trotzdem glauben tschechische Diplomaten nicht, dass sich Berlin einer möglichen tschechischen Klage gegen Polen anschließen wird.