Brasiliens Teufelskreis der Gewalt
18. Januar 2019Brennende Busse und Banken, Bomben unter Überführungen. Die ersten Arbeitswochen der neuen Regierung hatten es in sich. Im nordöstlichen Teilstaat Ceará lieferten sich Drogenbanden ein Kräftemessen mit der Lokalregierung, die zuvor Aktionen gegen den Gebrauch von Mobiltelefonen in Haftanstalten angekündigt hatte. Denn die dort einsitzenden Drogenbosse führen per Telefon ungestört ihre Geschäfte. Und kommandierten nun die Attacken.
Ein Fall für Sérgio Moro, den ehemaligen Bundesrichter, der 2017 Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verurteilte und damit aus dem letztjährigen Präsidentschaftsrennen nahm. Jetzt ist Moro Justizminister im Kabinett des rechten Hardliners Jair Messias Bolsonaro, zuständig nicht nur für sein Steckenpferd "Korruptionsbekämpfung", sondern auch für die innere Sicherheit. Als erste Amtshandlung entsandte er die Nationale Eingreiftruppe nach Ceará, wo nach 200 Anschlägen nun Ruhe einkehrt.
Milizen in der Favela
Vor Moro liegen gewaltige Aufgaben. Mit jährlich 64.000 Morden gehört Brasilien zu den gewalttätigsten Ländern, den von Finanzkrisen geplagten Behörden entgleitet vielerorts die Kontrolle, während das organisierte Verbrechen sich ausbreitet. Brasiliens Drogenkartelle sind internationale Player, denen der mit korrupten Beamten durchsetzte Sicherheitsapparat wenig entgegensetzen kann. Von korrupten Polizisten angeführte Milizen dominieren Armutsviertel, während Kartelle die Haftanstalten kontrollieren.
Schafft Moro das? "Das ist unklar, schließlich haben wir ja bisher noch gar kein Regierungsprogramm für diesen Bereich gesehen", so Melina Risso von der NGO "Instituto Igarapé" gegenüber der DW. "Im Wahlkampf hörte man nur starke Worte, aber keine konkreten Ideen." Die NGO aus Rio de Janeiro hat sich auf den Bereich öffentliche Sicherheit spezialisiert.
Schusswaffen für "gute Bürger"
Bolsonaro versprach lediglich, Moro "auf die Spur des Geldes" der Kartelle anzusetzen und Schusswaffen für "gute Bürger" zur "Selbstverteidigung" freizugeben. Dabei belegen Studien, dass mehr Waffen nicht weniger, sondern mehr Gewalt bedeuten, so Risso. "Die Kriminalität mit einem offensichtlich falschen Konzept zu bekämpfen, dieser Versuch kann nicht der richtige Weg sein", fügt er hinzu.
Igarapé hatte Ende 2018 eine Prioritätenliste zur inneren Sicherheit erarbeitet. "Die Reduzierung der Gewaltverbrechen steht da ganz oben, zusammen mit der Bekämpfung des organisierten Verbrechens." Man unterstützte die vom damaligen Präsidenten Michel Temer gestartete Initiative zur Integration der Landesbehörden unter der Führung des Bundes und der gleichzeitigen Einbindung von Kongress und Justiz.
Federführend war dabei das im Februar 2018 von Temer geschaffene Ministerium für innere Sicherheit. Doch Bolsonaro schlug das neue Ministerium einfach Moros Justizministerium zu. "Das legt nahe, dass die innere Sicherheit keine Priorität mehr hat", resümiert Risso.
Ohne eine Integration der Sicherheitsbehörden und den Informationsaustausch könne die Gewalt nicht gestoppt werden. "Dass alle gemeinsam in die gleiche Richtung gehen, ist Voraussetzung Nummer 1, um überhaupt was zu erreichen."
Korruption in der Polizei
Doch die Realität sieht anders aus. "Alle Sicherheitsbehörden in Brasilien sind in gewissem Grad mit Korruption infiziert", sagt die Soziologin Julita Tannuri Lemgruber gegenüber der DW. "Und deshalb vertraut man sich nicht." Oft habe sie in den vergangenen 30 Jahren gemeinsame Sitzungen von Polizei und Militär schockiert verlassen. "Wie kann ein Land funktionieren, in dem die Behörden sich nicht vertrauen?"
Den von korrupten Polizisten angeführten Milizen, die viele Favelas in Rio kontrollieren, müsse man ans Geld gehen, ihre Einnahmequellen abdrehen und die Konten sperren, rät sie. Zudem mögen die Polizeikommandanten einfach mal schauen, mit welchen Luxusschlitten ihre Beamten zum Dienst fahren.
"Entspricht ihr Lebensstandard überhaupt ihrem Sold? Das muss man sich fragen." Die Seilschaften zwischen Milizen und Rios politischer Klasse müssten endlich aufgedeckt werden, fordert Lemgruber. Gleichzeitig hat sie wenig Hoffnung, dass dies gelingt.
Beispiel aus São Paulo
"Wir lassen uns zu sehr von der schlimmen Lage in Rio de Janeiro ablenken", glaubt hingegen Risso. In anderen Teilstaaten wie São Paulo sei es durchaus gelungen, die Polizei zu säubern. "Rigide innere Kontrollen, eine aktive Staatsanwaltschaft und der rasche Ausschluss verurteilter Beamten" sei nötig. "Sonst verlieren die Bürger den Glauben an die Polizei."
Und da ist die Überbelegung in den Gefängnissen. Über 700.000 Häftlinge teilen sich halb so viele - oft unmenschliche - Haftplätze. "Die brasilianischen Drogenkartelle wurden in den Gefängnissen geboren, praktisch als Antwort auf die dort herrschenden prekären Bedingungen", so Risso. "Wer da reinkommt, muss sich einem Kartell anschließen, um zu überleben."
Anfang 2017 war es in mehreren Anstalten zu regelrechten Massakern zwischen den verfeindeten Gangs gekommen. Rund die Hälfte der Häftlinge sitzt bisher ein, ohne überhaupt verurteilt worden zu sein. Ein Großteil von ihnen wurde mit geringen Mengen an Rauschmitteln aufgegriffen.
"Statt Bürger in Massen wegzusperren, muss man verstärkt auf alternative Strafen setzen", fordert Risso. Doch Bolsonaro scheint eher auf härtere Strafen und die Absenkung der Strafmündigkeit von jetzt 18 auf 17 oder sogar 16 Jahre zu setzen. Ein Fehler, meint Risso. "Damit helfen wir dem organisierten Verbrechen nur, Nachwuchs zu rekrutieren."