Nacht der Gewalt in Brasilien
21. Juni 2013Hunderttausende Brasilianerinnen und Brasilianer wollen sich die Zustände in ihrem Land nicht länger gefallen lassen. Allein in Rio de Janeiro versammelten sich am Donnerstagabend (Ortszeit) laut Schätzungen bis zu 300.000 Demonstranten.
"Komplett die Kontrolle verloren"
Zunächst verlief ihr Protestzug durch das Zentrum Rios friedlich. Doch dann die Eskalation: Spezialeinheiten der Polizei setzten laut Augenzeugenberichten Tränengasgranaten und Gummigeschosse ein. Die Menschen liefen in Panik auseinander. Aktivisten errichten Barrikaden und legten Brände.
Etliche Personen wurden verletzt, darunter ein TV-Reporter, der von einem Gummigeschoss am Kopf getroffen wurde. "Die Polizei hat komplett die Kontrolle verloren und ist unfähig, mit solchen Demonstrationen umzugehen", sagte eine Kollegin des Reporters. Viele Menschen, die von den Tumulten hörten, verließen daraufhin den Protestmarsch in Rio und gingen nach Hause.
Chaotische Zustände wurden aus mindestens fünf weiteren Städten gemeldet, so auch aus der Hauptstadt Brasília. Insgesamt waren Aktionen in rund 80 Städten des lateinamerikanischen Landes geplant. Am Rande der Proteste kam ein Mensch ums Leben. In Ribeirão Preto, gut 300 Kilometer von São Paulo entfernt, sei ein 18-Jähriger an einer von Demonstranten errichteten Barrikade von einem Auto überfahren worden, heißt es.
Brasilien statt Japan
Unter dem Eindruck der seit fast zwei Wochen anhaltenden Demonstrationen verschob die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff eine für Ende Juni geplante Auslandsreise. "Sie hat entschieden, wegen der aktuellen Ereignisse in Brasilien zu bleiben", teilte Rousseffs Pressestelle mit. Die Staatschefin wollte eigentlich vom 26. bis zum 28. Juni nach Japan reisen und dort unter anderem Ministerpräsident Shinzo Abe und Kaiser Akihito treffen.
Auslöser der Unruhen waren Preiserhöhungen für den öffentlichen Nahverkehr, die inzwischen allerdings größtenteils ausgesetzt wurden. Die Wut der Demonstranten richtet sich aber auch gegen hohe Ausgaben für die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Sommerspiele 2016. Viele Brasilianer werfen dem Staat vor, Millionensummen in die Infrastruktur für die Sportereignisse zu stecken, im Gegenzug aber Investitionen in das Gesundheits- und Bildungsssystem zu vernachlässigen. Seit vergangenen Samstag findet in Brasilien der Confederations Cup statt. Er gilt als Generalprobe für die Fußball-WM im kommenden Jahr, die den Staat umgerechnet rund elf Milliarden Euro kosten soll.
wa/kle/sc (dpa, afp, rtr)