Nach dem Dammbruch: Kampf um Gerechtigkeit
25. Juli 2019Am Kommandoposten Bravo warten die Ermittler auf die Ankunft neu entdeckter menschlicher Überreste. Von hier aus wird die Suche nach den verschütteten Opfern des Dammbruchs von Brumadinho koordiniert. Vor sechs Monaten, am 25. Januar, war der Damm eines Absetzbeckens für Bergbauabfälle geborsten. Der ausgetretene Schlamm bedeckt ein riesiges Gebiet, in dem heute noch 135 Feuerwehrleute an strategischen Punkten arbeiten. Bei dem Fund kann es sich um Überreste einer der 22 noch vermissten Opfer handeln.
Sechs Monate nach der Katastrophe in der Mine Córrego do Feijão rechnet man mit 270 Todesopfern. Im Kriminalmedizinischen Institut vom Belo Horizonte, der Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais, warten mehr als 100 Leichenteile, die aus der bis zu 25 Meter tiefen Schlammschicht geborgen wurden, auf die Analyse.
Eliane, die Schwester der Bauingenieurin Josiane Melo, die für das Bergbauunternehmen Vale arbeitete, wurde 68 Tage nach der Katastrophe gefunden. Das Opfer war im fünften Monat schwanger und arbeitete seit Kurzem auf Empfehlung von Josiane ebenfalls als Ingenieurin für Vale.
Josiane, auch als Josi bekannt, arbeitete im Kontrollzentrum des Damms und war am Tag der Katastrophe im Urlaub. Ihr Bruder, auch bei Vale angestellt, konnte sich retten, da er seine übliche Route wegen eines Auftrags änderte. Der kam von seiner Vorgesetzten, die nicht überlebt hat. "Die Chefetage wusste von dem Risiko, sie hätten alle dort herausholen müssen. Sie wussten, dass die Menschen nur eine Minute für die Flucht haben würden und dass deswegen es niemand schaffen würde, zu überleben", beklagt der Angehörige eines Opfers, das bei Vale gearbeitet hat. Der Mann will gegenüber der DW anonym bleiben.
Josi erzählt, dass sie seit der Tragödie zehn Kilo abgenommen hat. Zur Zeit ist sie von der Arbeit bei Vale befreit. Sie verlor 135 Freunde in der Katastrophe - und ihr ganzes Team. "Ich kämpfe für Gerechtigkeit. Ich will, dass die verantwortlichen Personen bestraft werden, dass Vale eine exemplarische Strafe erhält."
Entschädigung für die Hinterbliebenen
Im April schlossen die Justizbehörden ein Abkommen mit Vale, um die Auszahlung von Abfindungen für die Betroffenen zu beschleunigen. Dafür ernteten sie Kritik, weil das Abkommen ohne die Beteiligung der Opfer zustande gekommen war.
"Brasilien ist das einzige Land, in dem ein Unternehmen, das ein Verbrechen begeht, die Schäden ermittelt, am Tatort präsent ist und die Entschädigungssumme bestimmt", erklärt Camila Oliveira, Anwältin der Sozialbewegung "Movimento Águas e Serra de Casa Branca"; sie stammt aus einem ländlichen Ortsteil von Brumadinho, nahe dem gebrochenen Damm.
Bisher wurden in 173 Fällen 87 Vereinbarungen geschlossen. Darunter sind auch Anwohner, die ihre Häuser oder Arbeitsgeräte verloren haben oder kommerzielle Verluste erleiden mussten.
Nachdem eine Übereinkunft offiziell bestätigt ist, zahlt Vale die Entschädigung innerhalb von fünf Tagen. Einige dieser Entschädigungen übersteigen umgerechnet eine Viertelmillion Euro. Eine andere Einigung schreibt vor, ein Jahr lang einen monatlichen Mindestlohn von ca. 250 Euro an die fast 40.000 Bewohner Brumadinhos zu zahlen.
Laufende Ermittlungen
Diesen Monat wurde Vale zum ersten Mal von einem Gericht im Bundesstaat Minas Gerais zur Wiedergutmachung verurteilt. Die zu zahlende Summe wurde noch nicht bestimmt.
Die Untersuchungen zu den Ursachen des Dammbruchs sind vertraulich, die Ermittler haben sich bisher nicht geäußert. Die Justiz hat einen Teil der Betriebserlaubnis suspendiert; sie beruht auf einem Gutachten von TÜV Süd in Brasilien, das die Betriebssicherheit des Damms bestätigt hatte. Vale behauptet, besonders interessiert an der Aufklärung der Umstände zu sein, und kooperiert nach eigenen Aussagen mit den Untersuchungen.
Josi, die seit 14 Jahren für Vale arbeitet, erzählt, sie habe sich an ihrem Arbeitsplatz sicher gefühlt. "Ich habe alles verloren. Das Unternehmen hatte das Motto 'Das Leben an erster Stelle'. Jetzt scheint es, dass es das Töten gewählt hat", meint sie.
Sechs Monate nach dem Tag der Tragödie nehmen Angehörige an einem Gedenkakt für die Opfer teil. Die Ehrung fand vor einem Blumenbeet am Eingang der Stadt statt, wo Rettungshelfer Gegenstände vor den riesigen Buchstaben, die den dortigen Kreisverkehr schmücken, hinterlassen haben.