Brasilien im Anti-FIFA-Rausch
3. Juni 2015"Ich hoffe, dass CBF-Präsident Marco Polo del Nero sich Blatter anschließt und ebenfalls zurücktritt", wünscht sich Brasiliens Ex-Spieler Romário. Für Brasiliens Fifa-Feind Nummer eins ist Blatters Rücktritt die beste Nachricht seit langem. "Endlich haben wir die Gelegenheit, den Fußball weltweit zu reformieren!", meint er.
Brasilien im Anti-FIFA-Rausch: Bereits in der vergangenen Woche hatte die Öffentlichkeit mit großer Genugtuung auf die Verhaftungen der FIFA-Funktionäre in der Schweiz reagiert. Unter den Angeklagten befanden sich auch drei Landsleute: Der ehemalige CBF-Chef José Maria Marín, José Hawilla, Inhaber der Sportmarketingfirma Traffic, und José Margulies, Inhaber mehrerer Firmen, die Fernsehübertragungen verhandeln.
Nun müssen sich brasilianische Sportfunktionäre nicht nur in der Schweiz, sondern auch in ihrer Heimat auf unangenehme Fragen einstellen. Nach Medienberichten ermitteln die brasilianische Bundespolizei und Staatsanwaltschaft unter anderem gegen den ehemaligen CBF-Vorsitzenden Ricardo Teixeira. Ihm werden Devisenschmuggel, Dokumentenfälschung, Geldwäsche und Betrug zur Last gelegt.
Spieler fordern Mitbestimmung
In der vergangenen Woche (28. Mai) hatte zudem der brasilianische Senat der Einberufung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zugestimmt, die den Korruptionsvorwürfen gegenüber der CBF nachgehen soll. Auch der amtierende CBF-Chef Marco Polo del Nero wird sich einer Befragung im brasilianischen Kongress wohl nicht verweigern können.
"Del Nero hat es in der Hand, eine Generalversammlung bei der CBF einzuberufen, Neuwahlen zu organisieren und die Satzung so zu ändern, dass die Korruption im brasilianischen Fußball gestoppt wird", meint der brasilianische Fußballspieler Paulo André. Der Abwehrspieler gehört zu den Mitbegründern des "Fußballklubs für den gesunden Menschenverstand" (Bom Senso FC), in dem sich mehr als 1000 Profis zusammengeschlossen haben, die den Fußball reformieren wollen.
Ihre Forderungen: Ein Stimmrecht für alle Spieler und Trainer in den Verbänden sowie das Ende der Geheimhaltung von Verträgen. "Del Nero muss das Modell ändern, das den brasilianischen Fußball in den Abgrund gerissen hat. Wir brauchen dringend Maßnahmen für Transparenz und Demokratisierung", stellt Abwehrspieler Paulo André klar.
Expansion und Korruption
Die Aufbruchsstimmung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade in Brasilien besonders dicke Bretter gebohrt werden müssen. Denn die Grundlagen für die Expansion der Fifa legte der Brasilianer João Havelange, der als erster nicht europäischer Funktionär die FIFA von 1974 bis 1998 leitete. In seiner Amtszeit verdoppelte sich die Anzahl der WM-Teilnehmer von 16 auf 32 Länder.
"Josef Blatter hat in 17 Jahren Regentschaft das von seinem Vorgänger João Havelange geschaffene System weiter entwickelt und perfektioniert", meint der brasilianische Kolumnist Clovis Rossi. Loyalität und Treue würden erkauft, und der Fifa-Kongress, der eben noch für Blatters fünfte Amtszeit gestimmt habe, müsse nun auch einen Nachfolger wählen - dies seien schwierige Voraussetzungen für Veränderung.
Der direkte Draht vom Zuckerhut an den Zürichsee droht dem brasilianischen Fußballverband nun zum Verhängnis zu werden. Die verbale Distanzierung der einheimischen Funktionäre von der FIFA wirkt zuweilen ungelenk und unglaubwürdig.
Alles andere als majestätisch zeigte sich auch Brasiliens Fußballkönig Pelé: "Ich will einen Fußball, der Menschen zusammenführt und Kriege beendet", erklärte er während eines Freundschaftsspiels von Cosmos New York und der kubanischen Nationalmannschaft in Havanna. "Ich bin Fußballspieler, die Korruptionsskandale sind nicht mein Problem".
Argentinien triumphiert
Erzrivale Argentinien betrachtet die Ermittlungen beim brasilianischen Fußballverband gelassen aus dem fernen Buenos Aires. Beide Länder gehören der südamerikanischen Fußballkonföderation Conmebol an. Doch während die Argentinier wie geplant für den Oppositionskandidaten Prinz Ali Bin Hussein votierten, scherten die Brasilianer aus und stimmten für Blatter.
"Die Fakten sprechen für uns, wir haben richtig abgestimmt", erklärte Luis Segura, Präsident des argentinischen Fußballverbandes (Afa), gegenüber der argentinischen Zeitung "Pagina 12". Was er nicht sagt, aber meint: Brasilien hat sich falsch verhalten.