Religion in Brasilien
12. Juni 2014Brasiliens Kultur steht für Fußballbegeisterung und Lebensfreude. Der Bielfelder Religionssoziologe Heinrich Schäfer spricht von einem "freundlichen Lebensgefühl". Doch auch die Religion spielt in dem größten Land Lateinamerikas eine wichtige Rolle, für viele sogar die wichtigste.
Der brasilianische Alltag sei von Gebet und Frömmigkeit durchtränkt, sagt Michael Huhn, Wirtschaftshistoriker und Referent beim Lateinamerika Hilfswerk der Katholischen Kirche Adveniat. "Im Fernsehen sind Gottesdienstübertragungen ein Quotenrenner." Sie behaupteten sich locker neben Telenovela-Serien mit viel Herzschmerz, populären Fußballspielen und Musiksendungen. Religion, so Huhn im Gespräch mit der Deutschen Welle, gehöre einfach zur brasilianischen Kultur: "Das zeigt sich auch daran, wie oft die Menschen in der heiligen Schrift lesen, wie oft sie ein Stoßgebet verrichten und wie oft sie sich vor ihrem Santo, ihrer Heiligenfigur im Wohnungsflur, verneigen."
Weltweit die meisten Katholiken
Auch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Zwei Drittel der 195 Millionen Brasilianer sind Katholiken. Die Zahl der katholisch Getauften sieht der Vatikan noch weitaus höher. So ist Brasilien - noch vor Mexiko - weltweit das Land mit den meisten Katholiken. Größeren Zulauf haben nur noch die protestantischen Pfingstbewegungen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung sieht 11,3 Prozent der Bevölkerung als Anhänger der Pfingstkirchen, der Anteil der Protestanten umfasst 15,4 Prozent.
Zwei Millionen Schüler besuchen konfessionelle Schulen. Zum Vergleich: in Deutschland sind es gerade mal 370.000. Priester, evangelische wie katholische, gebe es für das große Land viel zu wenig, erklärt Adveniat-Referent Michael Huhn. "Es gibt große Gemeinden auf dem Land, wo der Pfarrer nur einmal im Monat oder sogar im Quartal kommt." In Brasilien seien deshalb nur 20 bis 30 Prozent der Sonntagsgottesdienste Heilige Messen, die große Mehrheit dagegen werde von Laien organisiert und geleitet.
Das mag auch den starken Zulauf der Pfingstkirchen erklären. Die nämlich böten "plausible Lösungen" an, die stark auf das religiöse Bedürfnis der Menschen ausgerichtet seien, weiß der Bielefelder Religionssoziologe Heinrich Schäfer. "Die Pfingstbewegung ist naturwüchsig und vielfältig", konstatiert der Lateinamerikaexperte. Da gebe es keine zentrale Kontrolle über Glaubensweisen, Lehrmeinungen und Glaubenspraktiken. "Die Frage, ob man im Gottesdienst tanzen kann, ob es erlaubt oder sogar notwendig ist, böse Geister auszutreiben, oder ob jedes Mitglied die Gabe der Heilung hat – solche Dinge werden in der katholischen Kirche alle ex cathedra entschieden." Das sei in der Pfingstbewegung nicht so. Schäfer: "Da macht jeder, was er will. Das macht die Bewegung stark."
Fröhliche Gottesdienste
Auf das starke Wachstum der Pfingstbewegungen in Brasilien hat die katholische Kirche nicht nur mit dem Beschluss reagiert, neue Wege für die katholische Botschaft zu verkünden. Michael Huhn stellt eine deutliche Charismatisierung fest. "Es gibt Gottesdienste, in denen ganz viel gesungen, ja gejubelt wird, Messen, die ausgelassen fröhlich sind und wo das Halleluja im Mittelpunkt steht. Die Messen, die sich gelöst haben von der Strenge der gewohnten römischen Liturgie, nehmen deutlich zu." Und diese neue Form, so Huhn, entspreche auch sicher mehr dem brasilianischen Temperament.