Bodenstreitigkeiten führen brasilianische Politiker nach Paraguay
12. März 2012Brasilianische Parlamentarier erhöhen den Druck auf ihre paraguayischen Kollegen, um den Konflikt über den Landbesitz in der Grenzregion beizulegen. Im April soll eine Delegation nach Assunción gesendet werden, um die Nachbarn zu mehr Engagement zu drängen. In den vergangenen Monaten waren die 'Carperos', paraguayische Landlose, immer häufiger auf die Grundstücke von brasilianischen Siedlern vorgedrungen, die seit Jahrzehnten in Paraguay leben. Unter den sogenannten 'Brasiguayos' wächst die Besorgnis.
"Wir wollen mit dem paraguayischen Kongress sprechen und zeigen, wie wir bei der Regelung der Verteilung der Agrarflächen helfen können, damit eine Agrarreform in Paraguay genau so gut funktioniert, wie in Brasilien", erklärt Senator Sérgio Souza, der eine externe Kommission des brasilianischen Oberhauses organisiert.
350.000 Brasilianer betroffen
Laut Souza bitte man die paraguayischen Kollegen darum, im Streit um den Landbesitz zu vermitteln und den rund 350.000 betroffenen Brasilianern in Paraguay Rechtssicherheit zu geben. Immerhin erwirtschaften die Brasiguayos - vor allem durch den Anbau von Soja - 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von Paraguay.
Anfang Februar hatte die Regierung von Präsident Fernando Lugo ein Stück Land des "Soja-Königs" Tranquilo Fávero in Nacundae in der Region Alto Paraná räumen lassen, das von rund 6000 Carperos besetzt worden war. Sie wurden vorläufig in den benachbarten Nationalpark Ñacunday gebracht.
"Wir benötigen dringend Rechtssicherheit. Privateigentum ist eigentlich unverletzlich und durch nationales Recht geschützt. Allerdings muss dieses Recht durchgesetzt werden", sagt Marilene Sguarizi, die als Anwältin die Brasiguayos vertritt.
Vor kurzem reiste Sguarizi nach Brasilia, um die brasilianische Regierung um Hilfe zu bitten. Dort sprach sie mit verschiedenen Behördenvertretern und erhielt im Außenministerium das Versprechen, dass man sich der Sache annehme. Allerdings wurden ihre Erwartungen gedämpft: Immerhin handele es sich um eine innere Angelegenheit Paraguays, argumentiert das Ministerium.
Gegenseitige Vorwürfe
Die Landlosen führen an, dass große Teile der Eigentumstitel, die während der Diktatur Alfredo Stroessners erworben wurden, ungültig seien und fordern von der Regierung eine Bodenreform. Sie beklagen, dass weite Teile der Bevölkerung unter härtesten Bedingungen lebten, während viele Brasilianer ein Vermögen verdienten, indem sie Paraguays Landwirtschaftsflächen ausbeuteten.
Die Brasiguayos argumentieren dagegen, dass ihre Dokumente nicht zu beanstanden seien. Stroesser, Sohn deutscher Einwanderer, wollte die Ansiedlung brasilianischer Landwirte fördern. Die mehrheitlich deutsch- oder italienischstämmigen Bauern sollten die Landwirtschaft professionalisieren. Sie kauften in den 1960er und 1970er Jahren Ländereien zu Niedrigstpreisen. Seither bauen sie vor allem Soja an und haben Paraguay zum viertgrößten Soja-Exporteur der Welt gemacht.
Marilene Sguarizi schätzt, dass etwa ein Viertel aller Brasiguayos in letzter Zeit Schwierigkeiten mit der paraguayischen Justiz gehabt hat. Das Hauptproblem sei die Überschneidung von Eigentumstiteln. Die ersten dieser Fälle, bei denen zwei Parteien Anspruch auf dasselbe Stück Land anmeldeten, tauchten in den 1970er Jahren bei der Reform der Standesämter auf. "Damals wurden mehr Eigentumstitel vergeben als Ländereien existierten", erklärt Sguarizi.
Weiteres Konfliktpotenzial, erklärt die Anwältin, berge die ständige Bedrohung einer Agrarreform in den Gebieten, die die Landlosen als "überschüssig", also ungenutzt, bezeichnen, die ihre Eigentümer aber als bewirtschaftet deklarieren. "Es ist produktiver und dokumentierter Boden", sagt die Anwältin, "und selbst wenn es überschüssiges Land gäbe, könnten die Menschen es nicht einfach besetzen. Dann wäre es Aufgabe des Staates, eine Reform einzuleiten."
Alte Konflikte
Vom paraguayischen Innenministerium ist derweil zu hören, dass frühere Regierungen für die vertrackte Situation verantwortlich seien. Rund 85 Prozent des Kulturlandes gehören drei Prozent der Produzenten. Wie viele davon Brasilianer sind, gibt das Ministerium nicht an. Außerdem leben viele Brasiguayos seit Jahrzehnten in Paraguay, und viele Ländereien werden inzwischen von ihren Nachkommen, die gebürtige Paraguayer sind, bewirtschaftet.
Die Gründe für die Spannungen zwischen brasilianischen und paraguayischen Bauern liegen weit zurück in der Vergangenheit. Der Soziologe Ricardo Costa de Oliveira, Professor an der Bundes-Universität von Paraná betont, dass der Konflikt neben ökonomischen auch ethnische Ursachen habe. Durch ihre europäische Abstammung unterscheiden sich die Siedler von den Paraguayern mit ihren indigenen Wurzeln, die sie von den Guarani geerbt haben.
"In diversen spanischsprachigen Ländern wie Bolivien und Venezuela hat die Frage der Ethnien und Ureinwohner Einzug in die Regierungspolitik gehalten", erklärt de Oliveira. Seit der Amtsübernahme der linken Regierung von Fernando Lugo befänden sich nationalistische Debatten und soziale Bewegungen wie die der Carperos im Aufwind.
Der Soziologe glaubt allerdings nicht, dass die Bewegung der Landlosen mit einer großen Unterstützung der Regierung rechnen kann, allein schon wegen des politischen und wirtschaftlichen Gewichts der Agrarproduzenten im Land. Er spricht von einem inszenierten Bündnis zwischen Regierung und Landlosen. "Brasiliens Bedeutung ist in allen Nachbarländern sehr groß", urteilt der Experte, "und der Binnenstaat Paraguay hängt in extremem Maße von Brasilien ab - von seinen Häfen, seiner Energie und seinen Märkten."
Autorin: Mariana Santos
Übersetzung: Jan D. Walter
Redaktion: Rodrigo Abdelmalack / Thomas Kohlmann