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Politik

Mein Europa: Bosniens eiskalter Friede

Norbert Mappes-Niediek
23. November 2018

Das ehemalige Kriegsland Bosnien fällt langsam dem Vergessen anheim. Ein Fehler, meint Norbert Mappes-Niediek, denn der Konflikt zwischen Serben, Kroaten und Muslimen bleibt ungelöst.

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Norbert-Mappes-Niediek - t Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Zeitungen in Südosteuropa
Bild: L. Spuma

Nicht täglich, aber doch jährlich grüßt in Bosnien das Murmeltier. Das Land bricht auseinander!, heißt es regelmäßig, womöglich kommt wieder Krieg. Der Anlass ist stets - und auch in diesem Jahr wieder -, dass der starke Mann der bosnischen Serben, Milorad Dodik, mit etwas droht. Mal ist es ein Referendum über die Unabhängigkeit des serbischen Landesteils, mal der Rückzug aller serbischen Mandatsträger und Beamten aus der Zentralregierung. Und jetzt  droht er damit, Mehrheitsbeschlüsse des dreiköpfigen Staatspräsidiums, in das er soeben hineingewählt wurde, künftig zu missachten.

Dodik droht, so oder ähnlich, seit vollen zwanzig Jahren. Geändert hat sich nie etwas - zum Schlechteren nicht, aber auch, und das ist das Geheimnis der wiederkehrenden Provokationen, auch nichts zum Besseren. Jede einzelne der drei "Nationen" des Vier-Millionen-Staates, muslimische Bosniaken, Serben und Kroaten, fürchtet die Dominanz der beiden anderen. Das Ergebnis ist eine weitgehende Blockade ihrer Institutionen, die sich nur gelegentlich unter erheblichem Druck einmal lüftet. Und es ist die sichere Machtgarantie für Murmeltiere wie Milorad Dodik.

Grenzenloses Misstrauen

Man fürchtet sich in Bosnien wirklich vor einander - und das nicht zu Unrecht. Im Krieg der Jahre 1992 bis 1995 kämpften erst Serben gegen die verbündeten Bosniaken und Kroaten, dann verbündeten sich Serben und Kroaten gegen die Bosniaken. Inzwischen ist eine ganze Generation herangewachsen, viel gründlicher nach Nationalität getrennt als jede andere vor ihr. Aber auch heute ist die Furcht vor allem der Serben, aber auch der Kroaten vor der Dominanz der anderen nicht irrational.

Das Präsidium von Bosnien und Herzegowina
Im Misstrauen vereint: Das neue dreiköpfige Staatspräsidium (v.links) Zeljko Komsic, Milorad Dodik, Sefik DzaferovicBild: klix

Die Serben stehen nicht nur in Bosnien, sondern vor der ganzen Welt und den wichtigen europäischen Aufsichtsmächten als die moralischen Verlierer da. Sie fürchten sich, selbst wenn sie für Kriegsschuld zu jung sind, vor Benachteiligung und Schikane. Nur dass es zu einem Krieg kommen könnte, wird man getrost ausschließen dürfen. Dazu ist das Land viel zu depressiv. Ehe sie sich mobilisieren ließen, packen junge Bosniaken, Serben und Kroaten lieber ihre Sachen und sitzen dann friedlich nebeneinander im Bus nach Stuttgart, Köln oder Wien.

Aus Frustration über die Blockaden und die Zähigkeit des Fortschritts nicht nur in Bosnien grassieren unter westeuropäischen Politikern und Diplomaten wieder alte Rezepte - Futter für Murmeltiere. Wäre es nicht besser, man trennt die Volksgruppen, da sie ja doch ganz offensichtlich nicht miteinander können? Auf wohlwollendes Interesse in vielen westlichen Staaten ist etwa der Vorstoß der Präsidenten Serbiens und des Kosovo gestoßen, Gebiete auszutauschen. Ist nicht alles leichter, wenn Serben und Albaner jeweils unter sich sind, statt dass sie einander permanent belauern? Klare Rechnung, gute Freunde: Die Parole gewinnt zusehends Anhänger, vor allem in Bosnien.

Weder klare Rechnung noch gute Freundschaft

Die Volksgruppen im Land sind de facto längst weitgehend getrennt. Was sie noch gemeinsam zu beschließen und zu verwalten haben, ist weit weniger als das, was etwa EU-Staaten miteinander teilen. Und das Land ist ein sprechendes Beispiel dafür, dass die "klare Rechnung" alles andere als "gute Freundschaft" garantiert.

Mit seiner im Krieg durchgesetzten "ethnischen Reinheit" ist der serbische Landesteil kein bisschen demokratischer geworden. Im Gegenteil: Solange hier verschiedene Volksgruppen miteinander auskommen mussten, wurden Institutionen und demokratische Verfahren gebraucht. Jetzt, da die Serben in ihrem Landesteil weitgehend "unter sich" sind, darf ein Milorad Dodik sein Land regieren wie ein patriarchalischer Vater seine Familie: ohne Widerspruch, ohne ernsthafte Opposition. Nicht zufällig kommt der starke Mann in diversen Verfassungsämtern daher - mal als Regierungschef seiner Republik, mal als Präsident, jetzt als serbisches Mitglied des Staatspräsidiums. Und mucken Landeskinder einmal auf, genügt eine interethnische Provokation, und schon versammeln sich alle wieder unter dem Schutz und Schirm des großen Volksvaters.

Geflüchteten-Camp in Bihac, Bosnien-Herzegowina
Nicht die chronische Staatskrise, sondern das Flüchtlingsthema lenkt die internationale Aufmerksamkeit auf Bosnien Bild: DW/Z. Ljubas

Ethnische Trennungen, das zeigt das bosnische Beispiel, lösen nichts - im Gegenteil. Auch in den Nachbarländern Serbien und Kroatien hat die Wandlung zum Nationalstaat weder die Demokratie zum Blühen noch die Nachbarschaft friedlich gemacht. In Belgrad regiert mit Aleksandar Vucic wieder ein starker Mann, der sich mit fein dosierten Nadelstichen gegen das albanisch dominierte  Kosovo immer wieder die Macht verschafft, die er braucht. Im ethnisch jetzt weitgehend homogenen Kroatien sind Nationalismus und Hass auf die - jetzt verschwindend kleine - serbische Minderheit noch stärker als selbst zu Kriegszeiten.

Perspektive Europa

Die Europäische Union macht den Bosniern aller drei Nationalitäten für jede weitere Annäherung zur Bedingung, dass sie erst einmal unter einander klar kommen, starke Institutionen ausbilden, als Staat funktionieren. An Versuchen, Boykotteure auszumachen, vor allem den autoritären Dodik zu disziplinieren, hat es seitens der europäischen Aufsichtsmächte nicht gemangelt. Alle sind sie an den Angstmechanismen gescheitert. Hoffnungen, dass die nachwachsende Generation den Spuk beenden könnte, haben getrogen.

Das ist tatsächlich ein Ruf nach neuen Lösungen. Statt aber weitere ethnische Trennungen zu unterstützen, sollte Europa auch in Bosnien auf seine eigenen Lösungswege vertrauen: Lokale Konflikte in größere Zusammenhänge stellen und damit relativieren, Vielfalt ermöglichen, individuelle Rechte stärken. In einem größeren Ganzen, wie es das einstige Jugoslawien war, haben die Bosnier aller Nationalitäten weitgehend friktionsfrei zusammengelebt. Ein geeintes Europa könnte einen neuen Rahmen bilden. Vorausgesetzt, es glaubt an sich selbst.

Norbert Mappes-Niediek lebt im österreichischen Graz und ist Südosteuropa-Korrespondent zahlreicher deutschsprachiger Zeitungen.