BVB überrollt Holstein Kiel
1. Mai 2021Als in der 42. Spielminute das 5:0 für Borussia Dortmund fiel - ein eigentlich ungefährlicher Schuss von Jude Bellingham, der von Kiels Abwehrspieler Simon Lorenz aber unhaltbar abgefälscht wurde - da schien es fast so, als sei es BVB-Kapitän Marco Reus unangenehm, dass sein Team schon wieder getroffen hatte. Reus jubelte nicht, sondern trabte zum Kieler Torhüter Thomas Dähne und klapste dem frustrierten Gegenspieler auf die Schulter, eine Geste irgendwo zwischen Aufmunterung und Entschuldigung.
"Ich glaube, dass wir heute vor dem Tor sehr konsequent waren", sagte Reus nach dem Spiel am ARD-Mikrofon. "Wir sind sehr froh, dass wir schnell die Tore gemacht haben, um die Sicherheit zu haben. Wir sind sehr froh, dass wir ins Finale eingezogen sind." Nachdem Giovanni Reyna die ersten beiden BVB-Tore erzielt hatte (16. und 23. Minute), hatte Reus das 3:0 beigesteuert (26.). Noch vor der Pause trafen auch noch Thorgan Hazard (32.) und Bellingham (42.). Da die Dortmunder, bei denen Erling Haaland wegen muskulärer Probleme fehlte, in der zweiten Halbzeit in den Verwaltungsmodus schalteten, kamen nach dem Seitenwechsel keine weiteren Treffer hinzu. Stattdessen hatten die Dortmunder eine schwere Verletzung bei einem ihrer jungen Spieler zu beklagen: Mateu Morey blieb im Rasen hängen und verdrehte sich das Knie. Seine Schmerzensschreie, die durch das leere Stadion hallten, sorgten auch bei den Kollegen für Entsetzen. "Es ist brutal schwer", sagte BVB-Trainer Edin Terzic, "bis zur 75. Minute war es ein perfekter Abend für uns. Aber wenn man den Jungen auf dem Boden sieht und - viel schlimmer noch - seine Reaktion gehört hat, das tut extrem weh."
Kiel zweimal in Quarantäne
Schock trotz des Finaleinzugs in Dortmund, und auch für die Kieler war es ein Abend zum Vergessen. Allerdings ist leicht nachvollziehbar, warum nach dem frühen, hohen Rückstand kein Aufbäumen des Zweitligisten mehr drin war. Zweimal innerhalb der vergangenen zwei Monate hatte sich das gesamte Team wegen COVID-19-Infektionen im Spielerkreis in häusliche Quarantäne begeben müssen.
Bis zum 20. April durften die Holstein-Profis zuletzt nur zu Hause trainieren. Seitdem absolvieren sie ihr strammes Restprogramm: innerhalb von viereinhalb Wochen acht Punktspiele, dazu noch das DFB-Pokal-Halbfinale beim BVB. Im März hatte sich die Mannschaft schon einmal in Quarantäne begeben müssen, nachdem es mehrere positive Coronafälle gegeben hatte. Zweimal 14 Tage ohne richtiges Training innerhalb von sechs Wochen - kein Wunder, dass es um die Form der Kieler Kicker nicht zum Besten steht.
"Uns wurden ganz klar die Grenzen aufgezeigt", sagte ihr Trainer Ole Werner, mit 32 Jahren der jüngste Profitrainer im deutschen Fußball. "Aber niemand hat uns zugetraut, dass wir heute hier stehen. Wir können es einordnen und werden keine bleibenden Schäden mit in die nächsten Spiele nehmen, auch wenn wir alle sehr enttäuscht sind."
Das DFB-Pokal-Halbfinale war - nachdem Kiel mit dem Sieg im Achtelfinale gegen den FC Bayern im Januar für Furore gesorgt hatte - eher nur Zubrot. Fast schon störte es bei der Konzentration und dem Sammeln der Kräfte im Bestreben, das eigentliche große Saisonziel zu erreichen: den Aufstieg in die Bundesliga. In der hat Holstein Kiel, immerhin Deutscher Meister von 1912, nämlich noch nie gespielt.
Dortmund im Flow - Kiel auch?
Die Ausgangslage der Kieler im Aufstiegsrennen ist - was die nackten Zahlen angeht - gar nicht so schlecht: Mit 50 Punkten sind sie Tabellenvierter und haben bei drei Spielen weniger nur zwei Zähler Rückstand auf den Dritten, Hamburger SV, sieben auf die SpVgg Greuther Fürth auf dem zweiten Platz. Die Chancen sind also da, doch sind es die Kräfte auch?
Kein Problem mit schwindenden Kräften scheinen dagegen die Dortmunder zu haben. Nachdem sie am 18. Spieltag in der Tabelle aus den vorderen vier Plätzen herausgefallen und der VfL Wolfsburg und Eintracht Frankfurt auf den Rängen drei und vier zeitweise regelrecht enteilt waren, ist das Momentum nun wieder auf Seiten des BVB. Nur noch ein Zähler fehlt den Schwarz-Gelben auf Rang vier. "Wir haben einen guten Lauf, aber dürfen nicht ein Prozent nachlassen", sagte Reus. "Wir müssen weiter im Flow bleiben."
Schaffen die Dortmunder das, könnte es am Ende der Saison dann heißen: Die Borussia hat sich für die Champions League qualifiziert und außerdem den DFB-Pokal gegen RB Leipzig gewonnen, Holstein Kiel ist dagegen im Kampf um den Erstliga-Aufstieg wegen der zu hohen Belastung am Ende einer harten Spielzeit gescheitert. Beides wäre keine Überraschung.