Wie Dortmund Meister werden könnte
14. September 2020Nach acht Meistertiteln in Folge für den FC Bayern München und dem Triple der Münchner in der vergangenen Saison muss sich der deutsche Fußball die Frage stellen: Wie will man die Bundesliga spannender machen? Ein Großteil der Verantwortung hierfür liegt beim ewigen Konkurrenten Borussia Dortmund, einerseits aufgrund der Erfolge, andererseits auch aufgrund des eigenen öffentlichen Anspruchs. Doch was muss der BVB tun, um den Titel zu holen?
Vor der vergangenen Saison hatten sich die Dortmunder weit aus dem Fenster gelehnt und dem FC Bayern eine öffentliche Kampfansage gemacht. Und tatsächlich schien die Mannschaft reif genug, den Serienmeister zu ärgern. Spieler wie Erling Haaland, Jadon Sancho und Axel Witsel sorgten für einen internen Klubrekord von 84 Bundesliga-Toren, 21 von 34 Ligaspielen wurden gewonnen.
Aber am Ende war Bayern München wieder ein Stückchen besser. Es mag viele Gründe für diese Kluft zwischen Dortmund und Bayern geben, aber einer, der in den letzten Spielzeiten ganz offen zu erkennen war, ließe sich abstellen. Denn auch wenn es Marco Reus vielleicht nicht gerne lesen wird, mag der letzte Spieltag der Saison 2019/20 als Exempel dienen. Dortmund verlor zu Hause gegen die TSG Hoffenheim mit 0:4 - es ging ja um nichts mehr. Gleichzeitig schlugen die als Meister längst feststehenden Bayern Wolfsburg mit 4:0. Und wieder rückte die Mentalität der Dortmunder Profis in den Vordergrund.
Mentalität als Vereinskultur
Was aber ist Mentalität? Jeder hat von diesem Begriff eine eigene Vorstellung, und in letzter Zeit wird sie sehr oft als Entschuldigung oder Begründung für die schlechte Leistung einer Mannschaft oder eines Trainers herangezogen. Eine einfache Definition wäre mentale Stärke, aber der Begriff wird oft auch in Verbindung mit Siegeswillen verwendet. Letztlich bleibt der Begriff breit und vage. Die Definition des Sportpsychologen Dr. Thorsten Leber ist klarer.
"Die Mentalität, so wie ich sie verstehe, ist stabiler, etwas, das sogar über verschiedene Spiele einer ganzen Saison hinweg besteht", sagt Leber, der bereits mit Fußballvereinen gearbeitet hat, gegenüber der DW. "Wenn man sie ändern oder weiterentwickeln will, dann ist das Teil der Teamkultur, sogar der Vereinskultur", so Leber.
Wenn die Mentalität mit der Vereinskultur einhergeht, stellt sich die Frage nach der Kultur von Borussia Dortmund heute. Seit Jürgen Klopp weg ist, ringt der BVB um eine Antwort. Klopp hat das Wort Mentalität nicht nur regelmäßig verwendet, sondern den Begriff auch mit Leben gefüllt und inzwischen den Begriff "Mentalitätsmonster" für seine Liverpooler Mannschaft geprägt. Die Dortmunder blieben mit einem Konzept zurück, in das sie sich eindeutig verliebt hatten, aber ohne den Mann, der es umsetzen konnte.
Ohne Feedback kein Erfolg
"Dann kommen Begriffe wie Siegeswille, Motivation, Disziplin. Das sind schöne Überschriften, aber die eigentliche Kunst besteht darin, diese abstrakten Begriffe in konkrete Verhaltensweisen auf dem Spielfeld zu zerlegen. Woran erkenne ich zum Beispiel, ob ein Spieler diszipliniert ist, und wie kann ich ihm als Trainer ein Feedback geben", fragt Leber und fügt hinzu, dass das Feedback regelmäßig erfolgen muss, damit dieser Ansatz wirksam ist.
Dortmund mag Disziplin, Konzentration und Einsatzwillen predigen, aber das tut auch jede andere Profi-Mannschaft auf diesem Planeten. Das Motto "Echte Liebe", die Wurzeln in der Arbeiterklasse und die Verbundenheit mit der Fangemeinde zeichnen den Verein aus, aber all das scheint sich momentan nicht in einer entsprechende Mentalität auf das Spielfeld übertragen zu lassen.
Laut Leber muss die Team-Mentalität von innen kommen. "Die Führungsgruppe der Mannschaft oder sogar die ganze Mannschaft verbringt einen halben Tag damit, darüber zu diskutieren, was der Siegeswille eigentlich für uns bedeutet", sagt er. "Dann haben Sie die Spieler von Anfang an mit einbezogen, so dass es keine Ankündigung des Chefs ist, etwas, das meiner Meinung nach nicht funktioniert. Mentalität kann man nicht diktieren. Ich muss sie wollen."
Wenn sich die Spieler mit ihrer eigenen Definition und ihrem eigenen Verständnis von Mentalität identifizieren können, dann laufen sie nicht einfach auf dem Spielfeld herum, nur weil es ihnen befohlen wird, sondern weil sie etwas Eigenes entwickelt haben. "Das muss am Leben erhalten, ständig hinterfragt und diskutiert werden. Es braucht viel Zeit und Nerven, vor allem am Anfang, bis alle im gleichen Boot sitzen", sagt Leber.
Überwindung von Hindernissen durch Erfahrung
Um dies zu schaffen, müssen die Teams jedoch ehrlich und zugänglich sein. Vor allem müssen sie selbstbewusst sein. "Der Fachbegriff hierfür ist Selbstwirksamkeitserwartung oder Kompetenzerwartung, und das bedeutet, auf die eigene Fähigkeit zu vertrauen", sagt Leber. "Das ist entscheidend. Ich denke, wenn ein Team diese Fähigkeit hat und sie verbessern kann, dann wird jedes andere Thema, das wir diskutiert haben, aufgenommen und verbessert."
Leber geht davon aus, dass es zwei Methoden gibt, um Selbstvertrauen zu entwickeln. Erstens die kollektive Überwindung von Hindernissen durch Erfahrung, wie zum Beispiel Ligaspiele, harte Trainingseinheiten oder auch Freundschaftsspiele. Der Schlüssel ist hier die Erkenntnis des Trainers, dass jeder seinen Beitrag leisten muss, damit es eine kollektive Erfahrung wird. Zweitens: die Kommunikation des Trainers. Er muss die Mannschaft so stark wie möglich machen und gleichzeitig eine Kultur entwickeln, die Fehler und Risiken zulässt.
Der aktuelle Dortmunder Trainer Lucien Favre scheint seit langem einen solchen risikofreudigen Ansatz zu verfolgen. Doch wie bisher jeder Trainer der Post-Klopp-Ära ist es auch ihm noch nicht gelungen, die entsprechende Denkweise auch (dauerhaft) auf das Spielfeld zu bringen.
Adaption: Tobias Oelmaier