Bolsonaro-Anhänger überrennen Polizeisperre
7. September 2021Wie die Polizei von Brasilia mitteilte, überwanden hunderte Demonstranten mit Lastwagen und Autos eine Barrikade und gelangten auf die aus Sicherheitsgründen gesperrte Allee, die zum Kongress und zum Obersten Gerichtshof des Landes führt. Auf Videos im Internet war ein kleiner Autokorso zu sehen, der die Straße entlangfuhr. Demonstranten zu Fuß schwenkten Fahnen. Polizisten verhinderten jedoch, dass die Lkw samt Bolsonaro-Anhängern bis zum Kongress und dem Obersten Gerichtshof gelangten.
Die Verwaltung der Hauptstadt hatte wegen der angekündigten Demonstrationen zum Unabhängigkeitstag 5000 Polizisten zum Schutz öffentlicher Gebäude abgestellt. Die Behörden wollen ähnliche Szenen wie bei der Erstürmung des US-Kapitols durch Anhänger des damaligen Präsidenten Donald Trump im Januar vermeiden. Seit Dienstagmorgen versammeln sich Anhänger und Gegner des Präsidenten auch in anderen brasilianischen Städten wie Rio de Janeiro oder São Paulo. Hier gab es Demonstrationen für und gegen Bolsonaro. Der Präsident hatte seine rechte Anhängerschaft zu Massenkundgebungen in den beiden größten Städten des Landes aufgerufen.
Bolsonaro droht Richtern
Bei den Kundgebungen forderten Anhänger des Präsidenten vielerorts eine Militärintervention sowie die Absetzung von Richtern des Obersten Gerichts, wie örtliche Medien berichteten. Vor Tausenden von Anhängern in der Hauptstadt Brasilia drohte Bolsonaro den Richtern mit Konsequenzen. Die Demonstrationen verliefen bisher friedlich.
Angesichts sehr schlechter Umfragewerte, einer schwächelnden Wirtschaft und Streitereien mit der Justiz steht Bolsonaro unter wachsendem Druck. In den aktuellen Umfragen liegt er mit Blick auf die Präsidentenwahl im kommenden Jahr klar hinter seinem linken Konkurrenten Luiz Inácio Lula da Silva, der bisher noch nicht einmal seine Kandidatur bekannt gegeben hat. Die Zustimmung zu Bolsonaros Amtsführung ist im Laufe der Corona-Pandemie immer weiter gesunken. Anfang Juli lehnten 51 Prozent der Befragten die Politik des Präsidenten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha ab. Das war das schlechteste Ergebnis seit Bolsonaros Amtsantritt 2019.
Auch die von der Regierung versprochene wirtschaftliche Erholung ist bislang nicht eingetreten: Im zweiten Quartal ging die Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent zurück. Gleichzeitig läuft die Inflation mit derzeit 8 Prozent zusehend aus dem Ruder.
Kräftemessen mit dem Gerichtshof
Der Oberste Gerichtshof hat bereits eine Serie von Untersuchungen angeordnet, bei denen es darum geht, ob Bolsonaro und seine engsten Mitarbeiter systematisch Falschmeldungen verbreiteten. Im Gegenzug erließ Bolsonaro am Montag ein Dekret, das Internetplattformen das Löschen von Inhalten erschwert. Zuvor hatten Internetplattformen mehrfach Äußerungen Bolsonaros wegen der Verbreitung von Falschinformationen über das Coronavirus entfernt. Dieser hatte dieses Vorgehen als "Zensur" bezeichnet.
Das Oberste Gericht hatte zudem Anhänger und politische Verbündete von Bolsonaro festnehmen lassen, die zum Umsturz der demokratischen Ordnung aufgerufen haben sollen. Im Gegenzug beantragte Bolsonaro im Senat die Absetzung der zuständigen Richter. Allerdings haben sich bisher sowohl der Präsident des Senats wie auch der Präsident des Abgeordnetenhauses aus dem Streit herausgehalten. Beide erschienen auch nicht zu den offiziellen Feierlichkeiten des Unabhängigkeitstags, was Beobachter als Niederlage für Bolsonaro werten.
kle/qu (dpa, afp, kna, rtre)