Boko Haram auf dem Vormarsch
3. September 2014Sie sollen in einem Konvoi aus Militärfahrzeugen gekommen sein: rund 200 schwer bewaffnete Kämpfer der radikalislamischen Boko-Haram-Miliz. Nigerianische Soldaten hätten sich ihnen entgegengestellt, mindestens 59 Terroristen getötet und rund 30 von ihnen verletzt, heißt es in nigerianischen Medienberichten. Die Stadt Bama im nordnigerianischen Bundestaat Borno sei am Montag (01.09.2014) von Boko Haram erobert worden, berichten Augenzeugen. Einer gibt an, ein Kampfflugzeug der nigerianischen Armee habe versehentlich die eigenen Truppen bombardiert und die Streitkräfte damit entscheidend geschwächt. Tausende Zivilisten und sämtliche Soldaten seien geflohen.
Die Armee dagegen bestreitet eine Niederlage in Bama und spricht gar von einem "Sieg" gegen die Aufständischen. Von Seiten der Regierung des Bundesstaates Borno heißt es, die Stadt sei nach wie vor unter ihrer Kontrolle. Bama liegt rund 50 Kilometer von Gwoza entfernt; einer Stadt, die Boko Haram nach der Eroberung vor wenigen Tagen zum Kalifat erklärt hatte. Von Bama sind es nur noch 70 Kilometer bis nach Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaates.
Korruption schwächt die Armee
Dass die Armee Boko Haram weitgehend machtlos gegenüberstehe, habe viele Gründe, sagt Marc-Antoine Pérouse de Montclos. Er ist Nigeria-Experte bei der britischen Denkfabrik Chatham House. Ein Grund sei die grassierende Korruption bei Politik und Militär: Offiziell würden mehr als zwei Milliarden Euro in den nigerianischen Sicherheitsapparat fließen. Davon bleibe für den Kampf gegen Boko Haram in Borno jedoch gerade einmal ein Zwanzigstel übrig - weniger als 100 Millionen. "Es gab in letzter Zeit zahlreiche Meutereien. Die Soldaten haben die Nase voll von der Korruption unter hochrangigen Beamten, die das Geld einstecken, statt es im Kampf gegen Boko Haram einzusetzen", sagt Pérouse de Montclos im DW-Interview. Muhammad Abdul, ehemals Offizier in der nigerianischen Armee, sieht das ähnlich: "Es fehlt an Waffen." So habe der Gouverneur von Borno noch vor wenigen Monaten die Zentralregierung um mehr Unterstützung gebeten und beklagt, dass die Truppen im betroffenen Norden zu schlecht ausgerüstet seien. "Sollen unsere Soldaten mit Stöcken kämpfen?"
Am Mittwoch (03.09.2014) haben sich in Nigerias Hauptstadt Abuja die Außenminister Nigerias und der Nachbarstaaten Benin, Kamerun, Tschad und Niger getroffen, um über ein gemeinsames Vorgehen gegen Boko Haram zu beraten. Auch Vertreter der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs, Kanadas, der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union sollen anwesend gewesen sein. Bei dem Treffen sollte der Fortschritt der bei Konferenzen in Paris und London vereinbarten Maßnahmen überprüft werden, heißt es aus dem nigerianischen Außenministerium. Nach der Entführung von mehr als 200 Schülerinnen durch Boko Haram im April dieses Jahres hatten zahlreiche Länder dem nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan ihre Unterstützung zugesichert. Sie sandten Geheimdienst- und Überwachungsspezialisten sowie Ausrüstung nach Nigeria. Die USA setze im Nachbarland Tschad Drohnen ein, um die vermissten Mädchen aufzuspüren, sagt Pérouse de Montclos. Mit ihrer technischen Expertise wisse die USA, wo sich die Schülerinnen befinden, glaubt er. "Aber Boko Haram verwendet die Mädchen als menschliche Schutzschilde." Um sie zu befreien, müsste die USA mit der nigerianischen Armee zusammenarbeiten - die jedoch sei wegen der Korruption kein verlässlicher Partner, so Pérouse de Montclos.
"Wir brauchen Verhandlungen"
"Ich fürchte, das Ergebnis von dem Treffen in Abuja wird eine noch stärkere Militarisierung des Konflikts sein", sagt der Nigeria-Experte. "Wenn die Armeen benachbarter Staaten - Tschad, Kamerun, Niger - mit der nigerianischen Armee kooperieren, kann man damit rechnen, dass Boko Haram auch diese Staaten angreift." In Kamerun ist das bereits der Fall: Boko Haram überzieht seit Monaten den Norden des Landes mit Gewalt. Am Dienstag (02.09.2014) erst meldete die kamerunische Armee, dass sie in einem dreistündigen Gefecht rund 40 schwer bewaffnete Terroristen getötet hätte, als diese aus Nigeria kommend die Grenze überqueren wollten.
Pérouse de Montclos' Hoffnung: dass die internationalen Partner Präsident Jonathan klar machten, dass ein militärischer Ansatz allein nicht reiche, um Boko Haram etwas entgegen zu setzen. "Das Mandat der Armee muss geändert werden. Es muss den Schutz der Zivilisten beinhalten." Bislang habe das Militär nur die Weisung, Boko Haram zu bekämpfen. Dabei seien die Soldaten auch massiv gegen Zivilisten vorgegangen. "Die Armee hat viele Gräueltaten begangen. Deswegen kooperieren die Menschen nicht mit ihr." Außerdem müsse humanitäre Hilfe für die Opfer von Boko Haram frei gemacht werden, und: "Wir brauchen Verhandlungen", sagt Pérouse de Montclos. "Das ist nicht leicht, aber man muss mit dem Boko-Haram-Führer Abubakar Shekau reden." Dazu sei die aktuelle Regierung jedoch nicht bereit. Ebenso wenig, wie sie bereit sei, Boko Haram effektiv zu bekämpfen, sagt Ex-Offizier Muhammad Abdul: "Es fehlt der politische Wille."