Blutiges Kino
19. Juli 2013Jede Generation macht ihre eigene Erfahrung mit der Angst vor Vampiren. Zumindest seit der Erfindung des Kinos lässt sich das belegen. In den letzten Jahren haben die weltweit erfolgreichen "Twilight"-Filme dies noch einmal nachdrücklich in Erinnerung gerufen. In den Kinostreifen nach den populären Romanen der US-Autorin Stephenie Meyer mischt sich eine starke erotische Komponente in die Erzählung vom Blutsauger. Doch auch das war kein neues Phänomen. Es wurde lediglich den Zeitläufen angepasst.
Den ersten Vampir vergisst keiner
Alle paar Jahrzehnte wiederholt sich dieses Interesse am Thema Vampir: "Die Ängste und gleichzeitig die Faszination, die dadurch ausgelöst werden, begleiten einen das ganze Leben", sagt Bernd Desinger, Direktor des Filmmuseums Düsseldorf, das derzeit dem Mythos Vampir auf der Spur ist. An den ersten Vampir auf der Leinwand erinnere man sich immer, auch nach vielen Jahren noch, meint Desinger.
In den 1920er Jahren war es ein Deutscher, der Filmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau, der mit seinem später zum Klassiker gewordenen Vampir-Film "Nosferatu" (1922) das Genre populär machte. Dann betrat 1931 der legendäre Dracula-Darsteller Bela Lugosi, von dem es hieß, er habe sich mit zunehmendem Alter tatsächlich als Vampir gesehen, die Leinwand. Ebenso wie der Film von Murnau grub sich die Dracula-Verfilmung von US-Regisseur Tod Browning mit dem gebürtigen Ungarn Lugosi in das Gedächtnis der Menschen ein.
Twilight als neustes Phänomen
Wer in den späten 50er und 60er Jahren groß geworden ist, der wuchs mit den britischen Dracula-Verfilmungen mit Christopher Lee in der Hauptrolle auf. Ein Vierteljahrhundert später setzte US-Regisseur Francis Ford Coppola mit Gary Oldman in der Rolle des Blutsaugers wiederum andere Akzente. Die Twilight-Filmserie unserer Tage ist also nur die aktuellste Version eines lange währenden Horror-Mythos.
Der blutsaugende Leinwandunhold geht auf eine historische Quelle zurück - und auf eine berühmte literarische: Der Roman "Dracula" von Bram Stoker (1897) verschaffte den Drehbuchautoren und Regisseuren des Kinos Inspiration und wurde zur Vorlage etlicher Filme. Stoker wiederum hatte sich an dem berüchtigten Fürsten Vlad Tepes orientiert, der Mitte des 15. Jahrhunderts im heutigen Rumänien sein Unwesen trieb. "Tepes" heißt so viel wie "Pfähler" und wurde ihm aufgrund seiner Grausamkeit nachgesagt. Seinem Vater war der sogenannte Drachenorden verliehen worden, rumänisch: Dracul, sein Sohn hieß folglich Dracula. Neben zahlreichen anderen Unarten wurde dem Fürsten auch das Trinken von Blut angedichtet.
Bram Stokers Roman "Dracula"
Schriftsteller wie Bram Stoker, aber auch bildende Künstler, ließen sich in der Folge inspirieren von historischen Gestalten wie Fürst Tepes. Das Medium Film jedoch, so Bernd Desinger, baute auf der Grundlage solcher Mythen und Legenden die wirkungsvollsten und bildträchtigsten Visionen auf. "Das Kino bringt diverse Dinge zusammen, aber ist doch auch aus sich selbst heraus entwickelt", sagt Desinger und verweist auf die Tatsache, dass zahlreiche Details, die man heute wie selbstverständlich mit dem Mythos Vampir in Verbindung bringt, einzig aus dem Kino stammen. Der Vampir, der beim Tageslicht zu Staub zerfällt, ist beispielsweise eine Erfindung der Drehbuchautoren.
Erst sind vornehm auftretende Vampire mit beträchtlichem Charisma, gebildet und gentlemanlike, auf der Leinwand erschienen. Dann wurden die Vampire von den Regisseuren mit einer starken sexuellen Ausstrahlung ausgestattet. In den 60er Jahren kamen immer mehr Attribute und Charaktere hinzu. Auch Frauen wurden zu Blutsaugern im Kino, es gab farbige Vampire und homosexuelle. Legendär auch die Roman-Polanski-Satire "Tanz der Vampire", bei der sich ein "jüdischer Vampir" unbeeindruckt von der Wirkung des christlichen Kreuzes zeigt.
Projektion der Urängste
Was sind nun die Gründe für die anhaltende Popularität gerade dieser Schreckensgestalt? Darüber haben sich in der Vergangenheit zahlreiche Wissenschaftler und "Vampir-Forscher" die Köpfe zerbrochen. "Der Vampir ist die gelungenste Projektion unserer Urängste, ein theologisches Wesen mit gewaltigem philosophischem und psychologischem Tiefgang", schreibt der Mythenforscher Hans Meurer in einem Essay zum Thema.
Im Zentrum der Frage nach der Wirkungsmächtigkeit des Vampirs steht der Umgang der Menschen mit dem Tod. "Der Tod ist für die meisten Menschen das größte Schrecknis", schreibt Meurer. Die meisten Völker versuchten daher, den Tod als Ende zu eliminieren und umzudeuten in einen Ritus, der nur transformiert. "Es scheint tatsächlich kein Volk zu geben, das ein Weiterleben nach dem Tod ausschließt", meint Meurer. So wurde das Thema zu einem globalen Phänomen. Desinger ist bei der Recherche zur großen Vampir-Ausstellung in Düsseldorf auf unzählige Dracula-Filme aus aller Welt gestoßen: "Es gibt wohl über 1000 Titel!"
Sorge vor dem Vergessenwerden
Psychoanalytiker erklären den Mythos mit der Sehnsucht, dass die Lebenden naturgemäß immer glauben, dass sie als Tote nicht tot sein möchten. Und die Toten verspüren den Drang, zu ihren Angehörigen zurückzukehren. "Die tiefste Ursache dieser Projektion liegt zweifellos in dem Wunsch, dass die Gestorbenen nicht vergessen werden möchten", sagt der britische Psychoanalytiker Ernest Jones. "Einem Wunsch, der sich letztendlich aus Kindheitserinnerungen daraus ergibt, dass man von den geliebten Eltern alleingelassen wird."
Solchen Interpretationen muss man sich nicht anschließen. Sie ist eine unter vielen anderen Definitionen für die nach wie vor bestehende Begeisterung für blutsaugende Draculas. Vielleicht liegt darin auch eine Erklärung für die anhaltende Faszination für das Vampir-Genre. Es lässt sich vieles hineininterpretieren. Der guten Unterhaltung und dem wohligen Grusel tut das aber keinen Abbruch.