Blurs neues Album "The Magic Whip"
23. April 2015"Das ist schon etwas besonderes, in großen Städten aufzunehmen", sagt Damon Albarn. Der Blur-Frontmann sitzt mit den drei anderen Bandmitgliedern vor einer rot-goldenen Tapete. Sie wird von einem goldenen Drachen und einem chinesischen Buchstaben geziert. "Ich habe schon an vielen Orten aufgenommen und jeder Ort hat eine andere Stimmung", sagt Albarn und fügt hinzu: "An diesem Album gibt es nichts Ländliches. Es klingt sehr nach Stadt."
Ein chinesisches Restaurant in London ist vielleicht eine außergewöhnliche Location für eine Pressekonferenz zu einer Albumveröffentlichung. Vor allem für eine Band, die in den 90er Jahren das Gesicht des gitarrenlastigen Britpops war und deren Liedtexte der britischen Gesellschaft oft den Spiegel vorhalten.
Zu Blurs neuem Album passt das asiatische Ambiente aber trotzdem: 12 Jahre nach dem letzten Album kam der Impuls für die neue Musik ausgerechnet in Hong Kong. Als ein Tourkonzert im Mai 2013 abgesagt wurde, hatte die Band dort eine unerwartete Zwangspause: fünf Tage lang. Sie entschieden, ins Studio zu gehen und dort zu jammen. In dieser ungezwungenen Atmosphäre kam viel Material zustande. Die überarbeitete Version davon ist jetzt auf "The Magic Whip" zu hören.
Eiskalt zusammengemischt
Auf dem Album-Cover ist neben chinesischen Zeichen ein Eis aus Neonlichtröhren abgebildet, das in England "whip" genannt wird. "Whip" bezeichnet in der britischen Politik außerdem eine Person, die in Parlamentsabstimmungen die Ordnung wahrt. Zudem heißt das Wort auch "Peitsche".
Genauso vielschichtig wie die Bedeutung seines Titels sind auch die zwölf Lieder auf dem Album. Gitarrenmusik ist "The Magic Whip" allemal. Aber von Hip Hop und Soul beeinflussten Melodien wie bei "Ghost Ship", elektronischen Sounds bei "Ice Cream Man", bis zu mehrstimmigem Folk-Rock-Gesang, der nach Lagerfeuer klingt, wie im Song "Ong Ong" - auf dem Album ist alles zu finden. Oft werden die verschiedenen Sounds übereinandergelegt.
"Altbewährter Blur-Sound ist dieses Album nicht", erklärt Musikexperte Daniel Koch, der Chefredakteur des Musikmagazins "Intro". "Aber das Problem bei einer Band wie Blur ist, dass der bewährte Sound sowieso sehr facettenreich ist. Man kann in jede Band-Phase hineinspringen: Sie klingt immer ein bisschen anders."
Pop, Rock, Electro
Blur hat eben keinen "Trademark Sound", also kein einheitliches Markenzeichen. Tatsächlich blieb die Band ihre klangliche Karriere hindurch experimentell. Die Band gründete sich 1989 in London. Mitte der 90er Jahre entstanden Alben wie "Parklife" und "The Great Escape", die beide in Großbritannien die Spitze der Charts eroberten. Die Singles "Girls and Boys" und "Country Life" sind Klassiker des Britpops; ein Genre, das mit Gitarrenmusik in die Fußstapfen großer britischer Musiklegenden wie The Kinks, The Smiths oder David Bowie tritt.
Der sogenannte "Battle of Britpop" gegen die Band Oasis Mitte der 1990er Jahre verstärkte den Medienhype um Blur. Es wurde um die Krone der beliebtesten englischen Popband gekämpft. Die Nation war gespalten: Damals berichtete die Boulevardzeitung "The Sun", dass eine Frau ihrem Freund den Sex verweigerte, weil er statt Oasis Blur hörte.
Trotz ihres Erfolges mit Britpop ging das Album "Blur" 1997 in eine punkigere Richtung, mit mehr amerikanischen Einflüssen. Am bekanntesten ist vielleicht der "Song 2": den "Woohoo"-Refrain erkennen nicht nur Blur-Fans sofort. In den darauffolgenden Jahren experimentierte die Band weiter. Beim Album "Think Tank" (2003) kamen elektronische, sowie afrikanische Einflüsse in die Musik. Think Tank entstand fast ohne den Blur-Gitarristen Graham Coxon, der sich ab 2002 auf eigene Projekte konzentrierte.
Den Experimenten treu geblieben
Daniel Koch nennt Blur "Englands Nationalheilige", für die es unter Fans kein Altersspektrum gäbe. "Man kann mit 16 genauso gut Blur super finden wie mit 40." Und auch dieses Album werde die Fans glücklich machen, sagt er.
Musikalisch ist "The Magic Whip" ein typisches Blur Album gerade weil es klanglich experimentell ist. Allerdings gibt es Überschneidungen mit früheren musikalischen Exkursen. Der Eröffnungssong "Lonesome Street" klingt klassisch nach Blur und Britpop. "There Are Too Many of Us" thematisiert mit militaristisch klingendem Marsch-Rhythmus die Angst vor der Überbevölkerung. Das moderne Gefühl, wurzellos und in der Großstadt auf der Suche nach sich selbst zu sein, ist das Herzstück von "Spaceman": "Thought I'd found my black box / washed up by the shore / Thought I'd found it / that was not true at all."
Auf der Suche nach ihrer Black Box kommt von Blur nun "The Magic Whip". "Es ist toll, etwas Konkretes in der Hand zu haben, worauf wir stolz sein können und das wir jetzt live spielen können. Das ist aufregend", sagt Damon Albarn auf der Pressekonferenz im China-Restaurant über das neue Album. Wohin die Zukunft sie führt, dass wisse die Band jedoch selbst nicht.