Saudische Bloggerin: "Schreibe, was ich denke"
18. April 2018Das Testscreening des Hollywood-Blockbusters "Black Panther" am Mittwoch (18.04.2018) in der saudischen Hauptstadt Riad ist der jüngste Schritt im Rahmen der Modernisierungswelle, die das 32-jährige Staatsoberhaupt, Kronprinz Mohammed bin Salman, in der erzkonservativen Golf-Monarchie vorantreibt. Insgesamt sollen in den kommenden fünf Jahren 40 Filmtheater wieder oder neu eröffnet werden und bis 2030 etwa 300 Kinos entstanden sein. Mit seinen 30 Millionen Einwohnern, von denen der Großteil unter 25 Jahre alt ist, bildet Saudi-Arabien einen heißbegehrten neuen Markt für internationale Kinoketten.
Dahlia Rahaimy ist in Österreich geboren und aufgewachsen. Sie arbeitete als Journalistin für Arab News und als Medienberaterin. Als Repräsentantin der "Saudi Arabian General Investment Authority", kurz SAGIA, arbeitete sie zehn Jahre lang in Deutschland. Heute ist sie Bloggerin und lebt im saudischen Dschidda und in Dubai.
DW: Frau Rahaimy, was sind die Inhalte Ihres Blogs?
Dahlia Rahaimy: Durch meine Arbeit bei SAGIA und bei Arab News wurde ich immer mit Fragen konfrontiert wie: "Wie sind die Saudis?". Besonders, weil ich aufgrund meiner Biografie zwischen Deutschland und Saudi-Arabien stand und beide Seiten gut kannte. Es hat sich wie etwas Unmögliches angefühlt, die saudische Seite zu vermitteln und umgekehrt auch. Was mich am meisten verwundert, ist dass in den letzten Jahren so viel in Saudi-Arabien passiert ist, es aber leider erst jetzt von den Medien wahrgenommen wird. Vieles von dem, was jetzt als Veränderung betrachtet wird, war schon vorher da. Man hatte dem nur keine Beachtung geschenkt, denn das Land war zu.
Der wichtigste Blog-Post in letzter Zeit war für mich ein persönlicher Bericht über meinen Besuch im Fußballstadion. Das fühlte sich wirklich so an, wie ich es beschrieben habe: wie ein Wunder.
Waren Sie auch gestern bei der Kinoeröffnung dabei?
Nein, das war zu voll und es gab keine Karten zu kaufen. Ich weiß auch bis heute nicht, wann die Vorstellung überhaupt begonnen hat. Das mit dem Kino ist so wie das Autofahren. Das werden jetzt alle machen, die vorher nicht ins Kino konnten. Es gibt viele Saudis, die nicht ins Ausland reisen können und für die ist es natürlich ein Erlebnis.
Wird es auch nach der Eröffnung keine Geschlechtertrennung in den Kinos geben?
Ich glaube schon. Man wird nur darauf achten, dass zum Beispiel Gruppen von Jungs besonders platziert werden. Aber so wie es früher war, mit einer extra Junggesellen- und einer Familien-Sektion, das wird es nicht mehr geben. Wenn er (Kronprinz Mohammed bin Salman, Anm. d. Red.) das schon so angefangen hat, kann er es nicht mehr rückgängig machen.
Was für eine Bedeutung hatte die Veranstaltung gestern Ihrer Meinung nach für Ihr Heimatland?
Sie ist nicht ausschlaggebend, sondern Teil einer Kette von Veränderungen. Wir fangen an mit dem Autofahren für Frauen, mit der offenen Diskussion über Vormundschaft. Wir fangen an, den Wahhabismus als Staatsreligion zu hinterfragen. Es gibt die Idee, wieder den Geist von vor 1979 zu beleben. Auch die Riad Fashion Week, das ist alles Teil davon. Alles Schritte, die aufeinander folgen.
Wie wurden in den letzten 35 Jahren ohne Kinos Filme in Saudi-Arabien konsumiert?
Zu Hause, über Satellit und Netflix. Und natürlich illegale Kopien. Die gab es auch.
Wie stand es während dieser Zeit um die saudische Filmindustrie?
Eine sehr gute Frage. Ihr Deutschen habt uns da sehr unterstützt, was ihr vielleicht gar nicht wisst. Aber zunächst einmal: Es gibt schon lange ein aktives Kunstleben und Bühnenleben… Das wird seit etwa 15 Jahren immer lebendiger, also schon vor Mohammed bin Salman. Es waren erstmal nur Männer, auch Stand-Up-Comedians, auf YouTube. Richtige saudische Filme gab es jedoch nicht.
Der erste internationale Film war "Das Mädchen Wadjda", eine saudisch-deutsche Koproduktion. Der andere Film, der beim Abu Dhabi Filmfestival gezeigt wurde, ist "The Poetess", ebenfalls eine deutsch-saudische Koproduktion. Gerade ist ein neuer Film in der Pipeline. Und es gibt einen Cartoon, der heißt "Bilal", ein pädagogischer Film über die Zeit vor dem Islam, eine sensationelle Produktion. Darüber wurde aber hier nie berichtet als Erfolgsstory. Das finde ich traurig. Ich verstehe nicht, warum. Vielleicht liegt es an den Themen.
Werden in saudischen Kinos zukünftig auch Independent-Filme laufen?
Sie werden in Saudi-Arabien keine Arthouse-Filme finden. Das ist in Dubai aber auch so. Die Häuser, die Arthouse-Filme zeigen, sind privat. Das Publikum, das ins Kino geht, sind die Menschen, die sich keine Auslandsreisen oder Netflix-Abos leisten können. Diese Leute wollen natürlich erst einmal die Hollywood-Blockbuster sehen.
Sehen Sie in den kleinen Reformschritten Mohammed bin Salmans eine echte Entwicklung oder geht es nur um Business und darum, die "Vision 2030" zu stärken?
Die Vision 2030 kann er nur umsetzen, wenn er fundamentale Veränderungen in Gang setzt. Es gab schon hunderte von Fünfjahresplänen seitens verschiedener Ministerien. Aber sie sind nie umgesetzt worden. Doch nun ist es so: Entweder wir schaffen es endlich, oder wir gehen unter. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen, mit dem fallenden Ölpreis und dem Bevölkerungswachstum Saudi-Arabiens, geht es gar nicht anders. Ich hatte immer meine Zweifel an der Königsfamilie, aber Mohammed bin Salman ist vermutlich das Beste, was uns gerade passieren kann.
Er ist einer von uns. Ein Saudi, der nicht im Ausland studiert hat und nicht verhätschelt wurde. Selbst das Englisch, das er mit Trump oder Macron benutzt hat, das ist typisch für die saudische Mittelklasse. Wie er spricht, wie er sich anzieht, wie er sich gibt, das kann man nicht schauspielern. So ist er. Das macht ihn sehr nahbar für die Mehrzahl der jungen Leute und die Mittelschicht, die bei uns sehr groß ist. Indem er das Autofahren für Frauen erlaubt hat, hat er das Eis gebrochen. Das war zuvor immer eine große Debatte gewesen, da hatten sich viele Mitglieder der Königsfamilie und Offizielle immer wieder herangewagt und dann doch gemerkt: "Ups, zu heiß", und am Ende haben sie es dann aufgegeben. Er hat die Religionspolizei eingeschränkt. Spätestens da wussten wir, dass er es ernst meint.
Das heißt, er ist eine Art Obama für die Saudis?
Ja. Und selbst die Konservativen stehen hinter ihm. Natürlich nicht die ganz harten Fundis. Ich finde trotz allem, dass auch die mit anderer Meinung sich äußern sollen. Wir wollen keinen Umsturz, sondern offen reden, nichts sollte sich jetzt anstauen. In Deutschland gibt es die AfD mit ihren radikalen Ansichten, so wie in vielen anderen Ländern auch, wo Pro und Contra koexistieren. Das soll auch bei uns so sein, solange es gemäßigt ist.
Es werden hier immer noch Leute für ihre Äußerungen eingebuchtet, das ist richtig. Aber ich sehe das so: Wir haben gerade keine Zeit, innere Unruhen zu beruhigen. In den Sozialen Medien ist immer alles Pro oder Contra. In der Mitte gibt es niemanden. Niemand sagt, wie wir uns fühlen. Wir wissen es ja selbst nicht. Wo ist unsere menschliche Entwicklung? Dafür haben wir gerade keine Zeit, und das fehlt mir. Das gehört zur Meinungsfreiheit, aber uns rennt gerade die Zeit davon.
Hat sich in letzter Zeit auch etwas an der Situation von Homosexuellen oder Andersgläubigen in Saudi-Arabien geändert?
Homosexualität wird hier immer ein Tabu bleiben. Das ist religiös verankert. Was die Akzeptanz anderer Religionen angeht: Mehr Religionsfreiheit wird es geben. Wann eine Kirche in Saudi-Arabien gebaut wird, kann ich allerdings nicht voraussagen.
Wie sehen Sie Ihre Zukunft als saudische Frau?
Dafür bin ich nicht die Richtige, weil ich immer gegen den Strom geschwommen bin. Ich habe es mir nie leicht gemacht. Was saudische Frauen im Allgemeinen angeht, sage ich: Sie haben eine tolle Chance. Alles wird gerade gebraucht. Mit Ideen und Kreativität wird man hier als Frau erfolgreich. Besonders als Frau.
Hatten Sie als weibliche Bloggerin jemals Angst um Ihre Sicherheit?
Nein, weil ich immer das Gefühl hatte, ich bin im Recht. Ich kann dazu eine Geschichte erzählen: Um zu verreisen, brauchst du hierzulande die Erlaubnis deines Vormunds, also des Ehemanns oder Vaters. Mein deutscher Mann hatte mir eine Mehrfach-Reiseerlaubnis beantragt. Leider war der Bearbeiter drogensüchtig, wie wir später herausfanden, und hatte das Dokument falsch ausgefüllt. Am Flughafen hieß es plötzlich, ich könne nicht ausreisen. Ich sagte der Dame am Flugschalter, dass mein Mann ja anwesend sei, sie könne ihn fragen. Sie entgegnete, das reiche nicht aus, weil er Ausländer sei, ich solle doch bitte meinen Vater holen. Ich stand da und schrie die Welt zusammen.
Mein Mann, wie gesagt Deutscher und Anwalt, ein kühler Kopf, hat sich ganz weit weggestellt. Ich war außer mir. Ich vertrat damals Saudi-Arabien im Ausland. Und ich durfte nicht verreisen, weil irgend so ein Depp ein paar Unterschriften durcheinander gebracht hatte? Wie sollte ich so das Land vertreten? Am Ende durfte ich in den Flieger steigen. Ich hatte nur richtig argumentiert. So mache ich es auch mit meinem Blog. Ich schreibe nie mit dem Gefühl, ich müsste jemanden angreifen oder verteidigen. Ich schreibe, was ich denke, was gesagt werden muss.
Das Gespräch führte Philipp Jedicke.