Blaue Karte für Hochqualifizierte
1. März 2012Was für die USA die "Green Card" ist, soll für Europa die "Blue Card" sein. Die Brüsseler Hochqualifizierten-Richtlinie aus dem Jahr 2009 will Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten gleiche Aufenthaltsregeln bieten. Die Bundesregierung hat sich drei Jahre Zeit gelassen, um die Richtlinie umzusetzen und damit die "Blaue Karte EU", wie das Dokument in schönstem Behördendeutsch heißt, einzuführen. Wohl auch, weil Deutschland offiziell nach wie vor kein Einwanderungsland sein will.
Vor den demographischen Tatsachen kann allerdings niemand mehr die Augen verschließen. Deutschland fehlen bis zum Jahr 2030 gegenüber heute sechs Millionen Arbeitskräfte, so die neuesten Prognosen der Bundesagentur für Arbeit. Ein solch drastisches Schrumpfen des Arbeitskräftepotentials bremse das Wachstum und die Innovationsdynamik, warnt Klaus Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit. "Der drohende Rückgang der Bevölkerung – bis 2030 auf etwa 77 Millionen, bis 2060 auf 65 Millionen – gefährdet darüber hinaus auch die Finanzierungsgrundlagen unserer sozialen Sicherung."
Abgeschotteter Arbeitsmarkt
Die größte Hürde auf dem Weg zum deutschen Arbeitsmarkt ist bisher das Einkommen, das ein Zuwanderer aus einem Nicht-EU-Staat vorweisen musste. Es liegt bei mindestens 66.000 Euro pro Jahr. Das sei viel zu hoch angesetzt, heißt es aus der Wirtschaft und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert, auf der Grundlage der derzeitigen Regelung seien bislang jährlich nur knapp 150 Aufenthaltsberechtigungen erteilt worden.
Das soll sich nun ändern. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie in Deutschland, das an diesem Donnerstag in erster Lesung im Deutschen Bundestag debattiert wurde, will die Bundesregierung die Mindestgehaltsgrenze deutlich senken. Wer eine "Blue Card" erwerben will, muss nur noch einen Hochschulabschluss vorweisen und mindestens 44.000 Euro verdienen. Damit erhält er eine Aufenthaltserlaubnis und nach drei Arbeitsjahren eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Wer mindestens 48.000 Euro pro Jahr verdient, erhält sofort einen dauerhaften Aufenthaltstitel. Mitziehende Ehepartner dürfen sich umgehend einen Arbeitsplatz suchen und auf den Nachweis von Sprachkenntnissen wird verzichtet. Für Ärzte, Ingenieure und Techniker in Berufen, in denen besonders viele Fachkräfte fehlen, soll die Gehaltsschwelle sogar auf rund 35.000 Euro abgesenkt werden.
Studenten und Facharbeiter sollen in Deutschland bleiben
Um ausländische Hochschulabsolventen in Deutschland zu halten, wird auch ihnen die "Blue Card" angeboten. Für die Dauer eines Jahres nach ihrem Abschluss können sie in dem Job weiterarbeiten, den sie während ihres Studiums ausgeübt haben. Finden sie anschließend eine Arbeit, die ihrem Hochschulabschluss entspricht, dann erhalten sie nach zwei Arbeitsjahren ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland. Das soll auch für jene gelten, die in Deutschland eine Berufsausbildung machen.
Die Bundesregierung setze damit klare Signale an ambitionierte internationale Fachkräfte außerhalb Europas, sagt Ole Schröder, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. "Die Botschaft lautet: Ihr werdet gebraucht, Ihr seid mit Euren Angehörigen willkommen, Ihr habt eine Zukunft in Deutschland. Wir wollen weltoffen und attraktiv sein für diese klügsten Köpfe in der Welt."
Kritiker sehen noch großen Nachbesserungsbedarf
Die Opposition zweifelt daran, dass ein gesenkter Mindestverdienst allein ausreichen wird, um mehr Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu locken. Um für qualifizierte Einwanderer attraktiv zu werden, müsse sich vor allem auch das politische und gesellschaftliche Klima ändern, meint Memet Kılıç vom Bündnis 90/Die Grünen. "Grundlagen dafür sind erstens eine sichere aufenthaltsrechtliche Perspektive, zweitens ein einladendes Einbürgerungsrecht und drittens das effektive Eintreten gegen Rassismus."
Kılıç sieht in allen drei Punkten noch erheblichen Nachholbedarf. So sollen die Bestimmungen zur "Blue Card" beispielsweise vorsehen, dass Einwanderer ihr Aufenthaltsrecht wieder verlieren, wenn sie innerhalb der ersten drei Jahre ihres Aufenthalts Sozialleistungen beziehen. "Eine Niederlassungserlaubnis nur unter Vorbehalt zu erteilen, verstößt gegen eine Säule unseres Zuwanderungsgesetzes", sagt Kılıç. Deutschland habe damit weiter das Image einer geschlossenen Gesellschaft. Das Signal an die Fachkräfte sei damit ziemlich negativ und es sei zu befürchten, dass sie weiter einen großen Bogen um Deutschland machten.
Nachbesserungen erwartet
Auch die SPD übt Kritik an der Gesetzesvorlage. Wenn die Grenzen für die Mindesteinkommen tatsächlich so drastisch gesenkt würden, bestehe die Gefahr des Lohndumpings, sagt die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe. "Wir reden hier über Ingenieure, wir reden über Mathematiker, über Naturwissenschaftler, deren Einstiegsgehalt im Durchschnitt bei 39.200 Euro pro Jahr liegt. Nach unserer Meinung besteht kein Bedarf, die Gehaltsschraube in Mangelberufen weiter nach unten zu drehen."
Der Bundesrat hat in einer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf bereits durchblicken lassen, dass die Länder der Vorlage nur unter bestimmten Bedingungen zustimmen werden. Besonders wichtig ist für die Bundesländer, dass die "Blue Card" auch für Nicht-EU-Bürger ohne Hochschulabschluss in Frage kommen soll. Damit zielt der Bundesrat auf die Pflegeberufe, die in Deutschland schon längst offiziell auf der Liste der Mangelberufe stehen.
Dass es bis zur Verabschiedung der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie tatsächlich eine ganze Reihe von Änderungen geben wird, davon wird auch im Regierungslager ausgegangen. "Ich glaube, dass wir auf den Bundesrat hören sollten, da gibt es ja eine ganze Reihe von Anregungen", sagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl und an die Opposition gewandt orakelt er: "Wir werden Sie im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch überraschen."
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Peter Stützle