BKA: Strategien gegen Terror, Hass und Gewalt
24. November 2023"Ursachen und Dynamiken von Gewalt – wie brechen wir die Welle?" Thema und Titel für die Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden standen schon lange vor dem 7. Oktober 2023 fest.
Dem Tag, als Hamas-Terroristen in Israel nach israelischen Angaben mehr als 1000 Menschen ermordeten und über 200 als Geiseln verschleppten.
Das antisemitische Pogrom und die israelische Militär-Intervention im Gaza-Streifen mit inzwischen nach palästinensischen Angaben mehr als 10.000 Todesopfern liegen wie ein Schatten über der Veranstaltung in der Hauptstadt des Bundeslandes Hessen, wo die zentrale deutsche Sicherheitsbehörde ihren Sitz hat.
Massiver Anstieg politisch motivierter Kriminalität
"Seit dem 7. Oktober sehen wir einen sehr stark zunehmenden Anteil von politisch motivierter Kriminalität mit ausländischer beziehungsweise religiöser Ideologie", sagt BKA-Präsident Holger Münch. Bis zum 22. November, also innerhalb von gut sechs Wochen, habe man 3744 Straftaten registriert.
Die Fallzahlen seien allein für Oktober mehr als dreimal so hoch wie die Summe aller erfassten Delikte im Zeitraum Januar bis September. Das sei aber lediglich eine Momentaufnahme.
"Wir rechnen noch mit einer weiteren Zunahme, weil hier auch Verzögerungseffekte einkalkuliert werden müssen," betont Holger Münch.
Wie die Hamas mit Bildern Emotionen auslöst
An der Medien-Strategie der Hamas sei zu erkennen, dass mit emotionalisierten Bildern eine große Zahl potentieller Unterstützer angesprochen werden solle.
Auch wenn die Hamas in Deutschland nicht so groß sei, dürfe man die Wirkung solcher Bilder nicht unterschätzen, warnt der BKA-Chef: "Unsere Risikoeinschätzung ist, dass insbesondere allein handelnde Täter das auch durchaus als Impuls wahrnehmen."
Der israelisch-deutsche Psychologe Ahmad Mansour teilt Holger Münchs Befürchtungen. Die von der Hamas gefilmten und im Internet verbreiteten Massaker seien an Juden in aller Welt adressiert, vor allem in Israel.
Die islamistische Terror-Gruppe führe einen Krieg an mehreren Fronten. Ziel sei es, moderate arabische Länder zu destabilisieren, aber auch Europa.
Islamisten in Gaza, Aktivisten in Deutschland
Mansour, der selbst arabisch-palästinensische Wurzeln hat, macht dafür Islamisten in Gaza und Aktivisten in Deutschland verantwortlich. Die gingen hochprofessionell vor – auf Deutsch, Englisch, Französisch. "Mit dem Ziel, die Straßen unsicher zu machen, Menschen massenhaft auf die Straße zu bringen."
Diese Strategie ist offenkundig erfolgreich, wenn man sich die Bilder von jubelnden Menschen in muslimisch geprägten Stadtvierteln wie Berlin-Neukölln in Erinnerung ruft. Dort wie andernorts wurde der massenmörderische Hamas-Terror in Israel ausgelassen gefeiert.
Es geht um Israels Existenzrecht
Seitdem fragt sich Ahmad Mansour mehr denn je, wie man diesen Teil der Gesellschaft für die Demokratie gewinnen könne. Wobei es nicht darum gehe, pro-palästinensische Demonstrationen zu verbieten.
"Es geht darum, das Existenzrecht Israels nicht infrage zu stellen und keine antisemitischen Parolen zu rufen."
Aus seiner langjährigen Erfahrung in Projekten gegen Radikalisierung und aufgrund seiner Herkunft kennt der seit 2004 in Deutschland lebende Wissenschaftler muslimische Milieus in all ihren Schattierungen. In seiner Arbeit merke er, was nötig sei: der Abbau patriarchalischer Strukturen, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie vor allem der Kampf gegen Antisemitismus.
Wann Ahmad Mansour Kritik an Israel für legitim hält
"Für die palästinensische Sache auf die Straße zu gehen, ist legitim. Gegen die Siedlungspolitik Israels zu sein ist legitim", sagt Ahmad Mansour.
Nicht legitim sei es aber, Terror zu feiern. "From the river to the sea Palestine will be free" (Deutsch: "Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein") zu rufen, sei nicht legitim, weil es die Vernichtung des jüdischen Staates bedeute.
Um aus diesem Teufelskreis herauszukommen, fordert Ahmad Mansour eine Demokratie-Offensive: massive Präventionsarbeit und Vermittlung von Werten in Schulen, Integrationskursen und dort, wo die Menschen leben.
"Dazu brauchen wir Begegnungen, dazu brauchen wir Diskussionen, dazu brauchen wir emotionale Zugänge zu den Menschen."
Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen
Ahmad Mansour benennt aber auch Grenzen, die nicht überschritten werden dürften: "Da, wo Menschen systematisch unsere Gesellschaft verachten und politische Gewalt als legitimes Mittel gegen politische Gegner betrachten, müssen Repressalien her." Dabei hält es der Integrations-Experte für dringend nötig, Strafverfahren zu beschleunigen.
Darauf drängt auch die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik. Sie warnt auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes aber zugleich davor, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren: "Die Befürwortung von Gewalt durch einen aus meiner Sicht kleinen Teil der Muslime in Berlin führt zu einem Erleben von pauschalen Vorverurteilungen."
Der Berliner Weg: Prävention und Repression
Das Rezept gegen Gewalt in Berlin ist laut Barbara Slowik eine Mischung aus Repression und Prävention. "Dazu gehört eine sehr frühzeitige, konsequente Intervention zur Verhinderung krimineller Karrieren." Die Arbeit ihrer Beamtinnen und Beamten gehe dabei fast schon in Sozialarbeit über, sagt die Polizeipräsidentin.
Um Vorurteile und Berührungsängste zwischen Jugendlichen und der Polizei vor allem in sozialen Brennpunkten abzubauen, habe man Freizeit-Projekte ins Leben gerufen, berichtet Barbara Slowik.
"Unsere Kolleginnen und Kollegen spielen Fußball, kochen oder gestalten Spielplätze – so teilen sie Erlebnisse und Emotionen."
Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass man trotz vieler Kooperationen mit anderen Organisationen keine flächendeckende Prävention leisten könne, bedauert die Berliner Polizeipräsidentin.
Krawalle in der Silvester-Nacht
Wie brisant die Integrationsprobleme sind, erlebte man in der deutschen Hauptstadt schon lange vor der Eskalation in Nahen Osten. Entsetzen lösten die Krawalle zwischen Jugendlichen und der Polizei in der Silvester-Nacht 2022 aus. Die Berliner Landesregierung reagierte mit einem Gipfel gegen Jugendgewalt, dem 20 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
Dabei sitzen alle an einem Tisch: Politik, Justiz, Schulen, Sport und Integrationsbeauftragte. "Aber wir brauchen mehr, um die Welle der Gewalt zu brechen", betont Barbara Slowik. Für Demokratie und sozialen Frieden benötige man neben Prävention und Repression einen gesamtgesellschaftlichen Schulterschluss.