Bjarne Mädel: "Man muss überall mithalten"
28. März 2018Wenn jemand in Deutschland das Prädikat "Kultschauspieler" verdient, dann ist es Bjarne Mädel. Der 1968 in Hamburg geborene Mädel hat sich dieses Prädikat seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts mit drei beim Publikum enorm populären TV-Serien erarbeitet: In "Stromberg", "Mord mit Aussicht" und "Der Tatortreiniger" spielte Mädel stets etwas tumbe, aber sympathische junge Männer. Das hat ihm viele Fans in Deutschland eingebracht.
Diese Popularität führte in den letzten zwei, drei Jahren dazu, dass auch immer mehr Kinoregisseure den Darsteller für ihre Filme angefragt und eingesetzt haben - oft in Rollen, die das bisher gepflegte Image des Trottels abstreiften. Mädel wurde zum "ernsthaften" Charakterschauspieler. Vor zwei Jahren feierte das Drama "24 Wochen" mit Mädel und Julia Jentsch Weltpremiere bei der Berlinale und lief anschließend weltweit in über 30 Ländern auf Festivals und im regulären Kinobetrieb, auch in den USA. Bjarne Mädel dürfte so inzwischen auch bei interessierten Kinogängern im Ausland bekannt sein.
Bjarne Mädel ist heute ein viel gefragter Kinodarsteller
Seit dem Erfolg von "24 Wochen" hat Mädel nicht weniger als 13 Film- und TV-Rollen übernommen. In seinen neuesten Projekten ist er an der Seite von so prominenten, auch im Ausland bekannten Stars wie Franka Potente, Alexandra Maria Lara oder Lars Eidinger zu sehen. Jetzt läuft in Deutschland Mädels neuer Film "1000 Arten Regen zu beschreiben" in den Kinos an.
Regisseurin Isa Prahl erzählt darin die Geschichte einer radikalen Verweigerung: Eine vierköpfige Familie wird vor eine harte Bewährungsprobe gestellt. Der heranwachsende, in der Pubertät steckende Sohn hat beschlossen, sein Zimmer nicht mehr zu verlassen. Die Eltern (Bibiana Beglau und Bjarne Mädel) reagieren verzweifelt, die jüngere Schwester (Emma Bading) ist ratlos. DW-Autor Jochen Kürten traf Bjarne Mädel zum Kinostart seines neues Films.
Das Phänomen Hikikomori
Deutsche Welle: Der Film "1000 Arten Regen zu beschreiben" erzählt die Geschichte eines Jungen, der sich komplett in sein Zimmer zurückzieht, seine Tür nicht mehr öffnet, Eltern und jüngere Schwester nicht mehr hineinlässt. Der Film ist aber nun nicht die Geschichte dieses Jugendlichen, sondern blickt auf die "vor der Tür", die Eltern und die Schwester. Warum?
Bjarne Mädel: Das war eine ganz bewusste Entscheidung von der Regie. Es ist ein Film über diese Familie, über die Verweigerung der Kommunikation durch den Sohn, die in diese Familie hereinschlägt wie ein Keil und darüber, wie diese dann droht, auseinanderzubrechen. Jeder versucht, seinen eigenen Weg zu finden: Der Vater stürzt sich immer mehr in seine Arbeit, sieht darin seinen Lebensinhalt. Die Mutter sucht sich einen Ersatzsohn. Die Tochter geht ins Extreme, in extreme Situationen, um sich zu spüren. Das ist dann eher eine Pubertätsgeschichte, wie die Tochter beschrieben wird und was die durchmacht in dieser Zeit. Ich finde, das ist einfach ein wahnsinnig spannendes Phänomen, das sich jemand komplett verweigert und sagt, ich mache nicht mehr mit - und was das dann einfach für eine Auswirkung hat.
Der Film schildert auch gerade nicht ein ungemütliches Elternhaus, das eine solche Verweigerung des Jungen nachvollziehbar macht. Die Eltern werden nicht unsympathisch beschrieben, so irritiert das Verhalten des Jugendlichen zunächst…
Das finde ich gerade gut! Wir zeigen ja nicht den Grund, warum der Junge sich einsperrt. Es geht vielmehr um dieses Phänomen, was man aus Japan kennt: das sogenannte Hikikomori. Es gibt in Japan wohl über eine Million hauptsächlich männliche Jugendliche, die sich in ihr Zimmer eingesperrt haben und dann eben nur noch über den Computer die Welt wahrnehmen.
In Japan ist das durch die Leistungsgesellschaft begründet, weil es dort eine wahnsinnig schwere Universitätsprüfung gibt. Wenn man sich der nicht gewachsen fühlt und sich sagt "Das schaffe ich sowieso nicht, ich habe Angst", dann gehört man schon zu den Verlierern der Gesellschaft. In Asien ist das nochmal speziell, weil die Eltern sich nicht trauen, das zuzugeben, weil sie damit einen Gesichtsverlust erleiden. Die sagen dann oft: "Unser Kind ist im Ausland" - oder im Austausch.
Wenn es also nicht das "böse" Elternhaus ist, worin liegen die Gründe für diese Verweigerung?
In Japan ist das fast ein Massenphänomen, aber es gibt das auch immer mehr in Europa, auch immer mehr in Deutschland, dass junge Leute sich einfach diesem Druck nicht mehr gewachsen fühlen. Da gibt es gar keinen besonderen Auslöser dafür. Es gibt also nicht die eine Situation, wo die Jugendlichen gemobbt worden sind. Ich finde eine Szene im Film, wo die jüngere Schwester Emma vor der Tür des Bruders steht und sagt "Ich habe doch auch Angst", besonders eindrucksvoll. Es ist diese Angst, irgendwas nicht schaffen und bewältigen zu können.
Woher rührt denn diese Angst?
Die kennt ja jeder von uns vor jeder Prüfungssituation. Vor jeder Theaterpremiere möchte man am liebsten sofort den Beruf wechseln, weil man denkt: Das schaffe ich nicht. Ich kenne viele Kollegen, die Bühnenangst haben, die vorher den ganzen Tag auf dem Klo verbringen, entweder weil sie sich übergeben müssen oder weil sie Durchfall haben. Diese Angst, da raus zu gehen - man macht das dann trotzdem. Das ist jetzt ein spezielles Schauspielerproblem.
Der Druck, ständig präsent sein zu müssen
Aber über diese Hürde rüberzugehen und zu sagen, "Ich muss, ich will auch irgendwie funktionieren, ich will das schaffen", ist ein allgemeines Problem. Das ist nur eine kleine Verschiebung, dass man sagt, nee, ich pack das nicht, ich bleibe heute in meinen Zimmer. Das kann jeder von uns nachvollziehen, sich mal zwei, drei Tage einzusperren.Bei unserem Film-Sohn Mike sind das dann drei Monate, dann wird das pathologisch, dann braucht man einfach Hilfe von Außen. Aber ich finde das sehr nachvollziehbar, deshalb brauche ich nicht diesen einen Grund. Und deshalb fand ich es auch gut, dass man Eltern zeigt, die eigentlich sehr liebevoll, fast cool sind. Die sind eben einfach hilflos, die wissen nicht weiter.
Nun ist das ein relativ neues Phänomen. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, dass die Eindrücke heutzutage so vielfältig sind, dass man so vieles können muss, da hat man Instagram und Snapchat, man muss überall mithalten, man muss überall etwas von sich preisgeben, sonst gehört man schon nicht mehr dazu. Der Produzent Jakob Claussen hat vor Kurzem bei einer Rede gesagt, das sei heute "die horizontale Gesellschaft", eine "horizontale Generation": Das sind die, die alle auf dem Sofa oder auf dem Fußboden liegen und in ihr Tablet und ihr Handy gucken.
Das ist immer eine zusätzliche Belastung, dass es da eine Welt gibt neben der eigentlichen, die auch noch ganz wichtig zu sein scheint. Man muss also beides bedienen: Man muss im Internet präsent sein, bei seinen Freunden, aber man muss auch das richtige Leben auf die Reihe kriegen, das ist eben noch eine zusätzliche Belastung, ohne dass man das so bewusst wahrnimmt. Man ist einfach permanent gefordert: Man muss immer erreichbar sein, man muss immer reagieren auf alles. Irgendwo gibt's lustige Filmchen, dann muss man noch etwas Lustigeres posten, damit man dazu gehört und "in" ist. Ich glaub schon, dass es schwerer geworden ist, für sich Richtlinien zu finden, wenn man ein junger Mensch ist. Die Frage für sich zu beantworten: Was ist denn eigentlich wichtig?
Der Film "1000 Arten Regen zu beschreiben" von Regisseurin Isa Prahl mit Bjarne Mädel, Bibiana Beglau, Emma Bading, Janina Fautz und Louis Hofmann startet am 29. März in den deutschen Kinos.
Das Gespräch führte Jochen Kürten.