Zeit für den Amazonas läuft ab
1. Dezember 2022Deutsche Welle: Bischof Coter, Sie kommen aus dem bolivianischen Amazonasgebiet. Ist seit der Wahl in Brasilien, bei der Jair Bolsonaro, unter dem die Abholzung des Amazonas Rekordwerte erreichte, abgewählt wurde, der Schutz des Amazonasgebiets wieder eher gewährleistet?
Bischof Coter: Der Wahlausgang in Brasilien gibt uns für den Amazonas eine gewisse Hoffnung. Aber die Erfahrung zeigt, dass die Zerstörung des Regenwaldes nicht abhängig ist von der konkreten Person des Präsidenten. Es geht um staatliche und um wirtschaftliche Interessen. Das galt bei Jair Bolsonaro in Brasilien, das galt aber auch bei Evo Morales hier in Bolivien. Beide haben massiv den Regenwald abbrennen lassen. Und es geht weiter. Dieser Tage war es mal wieder so, dass im Süden Boliviens Linienflüge nicht landen konnten, weil der Rauch so dicht war. Die Wälder am Amazonas brennen also weiter. Und die Zeit läuft ab.
In Brasilien werden immer mal wieder Akteure, die sich für den Naturschutz oder die Rechte Indigener einsetzen, ermordet. Gibt es ähnliches in Bolivien?
Die meisten Opfer unter Naturschützern und Menschenrechtlern gibt es in Kolumbien und Brasilien. In Bolivien geht man eher gerichtlich gegen Verteidiger des Naturschutzes und jene, die zum Klimaschutz mahnen, vor. Sie werden auch von führenden Politikern als neue neokoloniale Bewegung diskreditiert. Wir hoffen auf die jungen Leute. Sie denken anders über die Natur und die Bewahrung der Schöpfung.
Bolivien ist reich an Bodenschätzen und doch eines der ärmsten Länder Lateinamerikas. Warum ist das so?
Die politische Klasse des Landes hat immer ihr eigenes Interesse gesucht und sich nicht am Gemeinwohl orientiert. Ein anderer Bischof hat mal gesagt: Der Grund, warum das Land so arm ist, ist sein Reichtum. Das trifft es. Nur ein Beispiel: In einem Ort ging es um Abfallvermeidung. Engagierte Leute sprachen mit dem Bürgermeister. Und der fragte: 'Was springt für mich dabei raus?' Wenn es um solche Themen geht, sind Leute oft korrupt oder werden bestochen.
Seit über neun Monaten, seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine gibt es Krieg in Europa. Sinkt seitdem die Aufmerksamkeit der europäischen Politik für Lateinamerika?
Das ist für uns nicht das Hauptproblem. Wir spüren vor allem die Folgen des Krieges. Die Ukraine ist einer der wichtigsten Getreideproduzenten weltweit. Und Bolivien ist angewiesen auf Importe aus der Ukraine. Wir brauchen Getreide für die Hühner, die oft die Lebensgrundlage, das Kapital der kleinen Leute sind. Die Krise des weltweiten Getreidemarktes infolge der russischen Blockade wird nach Weihnachten bei uns zu einem Preisanstieg führen. Dann fehlt irgendwann die Versorgung mit Fleisch. Jeder wird das spüren.
In Berlin haben Sie in dieser Woche Abgeordnete des Bundestages besucht. Sie haben aber auch gezielt Projekte der Caritas besucht, bei denen es um medizinische Versorgung von Menschen geht, die arm sind oder auf der Straße leben. Warum?
Wir unterstützen in Bolivien Projekte im Gesundheitsbereich. Das geht so weit, dass wir medizinische Hilfe mit einem Schiff zu den Menschen am Amazonas bringen. Adveniat, das Lateinamerika-Hilfswerk der deutschen Bischöfe, übernimmt Personalkosten und Medikamente, die für die Menschen bei uns zu teuer sind. Wichtig ist die Sensibilisierung für das Recht auf Gesundheit. Dieses Recht ist ein Element im Kampf gegen Armut. Ich habe hier in Berlin neu gelernt, wie man als Organisation Freiwilligenarbeit einbinden kann. Unsere Regierung sollte also keine Angst haben, die Arbeit im Gesundheitswesen im Dienste der Menschen zu intensivieren und dabei auch auf Kräfte der Zivilgesellschaft zu setzen.
Die katholische Kirche in Deutschland beschäftigt sich angesichts des Missbrauchsskandals mit der Frage kirchlicher Reformen. Beschäftigt sie sich zu sehr mit sich selbst?
Es ist wichtig, diese Fragen anzugehen. Auch bei uns ist der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker eines der großen Themen. Auch wir haben dieses Problem. Wir haben Präventionsrichtlinien aufgestellt, arbeiten mit den und für die Opfer. Aber wir müssen alles mögliche tun, um dem vorzubeugen. Und dabei muss es um systemische Fragen gehen. Und wir können auf heutige Fragen nicht nur mit Antworten kommen, die 1965, beim Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils, oder sogar noch früher formuliert wurden. Kirche kann für die Fragen der Gegenwart nicht nur auf überkommene Antworten setzen. Deswegen schauen wir mit Interesse auf den Synodalen Weg.
Es gab doch 2019 im Vatikan bereits eine Amazonas-Synode. Von den erwarteten kirchlichen Reformen wurde nicht viel umgesetzt.
Für uns ist die Synode noch nicht zu Ende. Stärker als zuvor engagiert sich Kirche für die Bewahrung der Schöpfung, im Bereich der Ökologie, für die Menschenrechte, die Wertschätzung der traditionellen alten Kulturen…
…und die Frage innerkirchlicher Reformen? Die Amazonas-Synode ließ die Möglichkeit der Priesterweihe für viri probati, bewährte verheiratete Männer, offen.
Wir haben seit zwei Jahren eine kirchliche Amazonas-Konferenz (CEAMA) etabliert. An ihr sind Laien Indigene, Priester und Ordensleute beteiligt, Männer und Frauen. Da geht es um Kirche, nicht um Bischöfe, um kirchliche Präsenz, nicht um bischöfliche Präsenz. Und wir arbeiten an einem eigenen amazonischen Ritus, es gibt neue Dienste, wir diskutieren das Diakonat der Frau. Die Frage der viri probati ist nicht erledigt. Aber eigentlich blieb die Frage der Sakramente bei der Synode außen vor. Und Papst Franziskus hat uns dazu ermuntert, darüber hinauszudenken und unsere Notwendigkeiten in den Blick zu nehmen. Die CEAMA-Konferenz arbeitet daran. Wir arbeiten an neuen Wegen in der Kirche.
Das Gespräch führte Christoph Strack
Der gebürtige Italiener Eugenio Coter (65) ging 1991 als Priester nach Bolivien. 2013 wurde er als Bischof ins Amazonasgebiet berufen. Er ist in Pando ansässig und für viele entlegene Siedlungen zuständig. Im kirchlichen Amazonas-Netzwerk Repam (Red Eclesial PanAmazonica), das sich unter anderem für den Erhalt des Regenwaldes einsetzt, ist er der Verantwortliche für Bolivien. Derzeit ist er als Gast des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat zu Besuch in Deutschland.