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Bin ich ein Narzisst?

16. März 2020

Ihre Kollegen sind fies, der Chef ist ungerecht? Freundschaften sind nur von kurzer Dauer, Partnerschaften sowieso? Obwohl Sie alles richtig machen? Wenn Sie so denken, sind Sie möglicherweise ein Narzisst.

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Frau bläst einen Kuss auf Spiegelbild
Bild: picture-alliance/imagebroker

"Wenn ich einen Raum betrete, habe ich häufig das Gefühl, dass die Augen der anderen auf mich gerichtet sind." Bei dem Test kann ich entweder mit "ja" oder "nein" antworten. Auf diese Weise klicke ich mich durch 22 weitere Fragen und Aussagen, bevor das Ergebnis angezeigt wird: Puh! Ich habe keine narzisstische Persönlichkeitsstörung

Es ist bloß ein Online-Selbsttest, den ich gegoogelt habe und der natürlich keine professionelle Diagnose ersetzt. Deshalb frage ich die Psychologin und Psychotherapeutin Aline Vater, woran ich erkenne, ob ich ein Narzisst bin.

Die Expertin stützt sich auf das Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, dem sogenannten DSM-5, das neun Kriterien auflistet, von denen mindestens fünf erfüllt sein müssen, damit von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung die Rede sein kann.

Um einige dieser Kriterien zu veranschaulichen, nehmen wir einfach mal an, ich würde unter einer solchen Persönlichkeitsstörung leiden. Die Konferenz morgens in meiner Redaktion würde dann etwa so ablaufen:

All eyes on me!

Alle schauen mich an, sobald ich den Raum betrete. Davon bin ich jedenfalls überzeugt. Weil ich nicht nur besonders schön, sondern auch besonders schlau bin und die ganze Sitzung ohne meinen Input blutleer und sinnlos wäre.

Während die anderen reden, gebe ich mich meinen Größenwahn-Phantasien hin. Ich stelle mir vor, dass ich diese Redaktion leite - als jüngste Abteilungsleiterin aller Zeiten! Ich träume von den bewundernden Blicken der Kollegen, die noch nie eine bessere und tollere Vorgesetzte hatten, als mich.

Mit dem grandiosen Gefühl der eigenen Wichtigkeit und den Phantasien von Erfolg, Macht und Schönheit hätte ich bereits zwei Kriterien für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung erfüllt. Aber die Konferenz ist ja noch nicht vorbei.

Wehe, du kritisierst mich!

"Charakteristisch für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist nicht nur die nach außen getragene hohe Meinung, die ein Narzisst von sich selbst hat", sagt Aline Vater, "sondern auch, dass diese leicht erschütterbar ist." 

Nun darf ich endlich sprechen und erzähle den Kollegen von meiner fantastischen Idee für den nächsten Artikel. Dafür gibt's Applaus, denke ich. Leider finden die Kollegen die Idee höchstens mittelgut und reagieren entsprechend verhalten. Schon das beschämt mich zutiefst. 

Mein Vorschlag wird kurz diskutiert, kritisiert und dann verworfen. Ich fühle mich ebenso abgelehnt und verkannt wie meine Idee. Die Verletzung ist so stark, dass ich vor Wut koche.

Hier, in meinem Arbeitsumfeld verberge ich meine Kränkung hinter einer arroganten und überheblichen Fassade. Weil meine Ansichten so einzigartig und besonders sind, ist der 08/15-Kollege wahrscheinlich gar nicht in der Lage, sie zu begreifen. Dem gemeinsamen Mittagessen bleibe ich fern. Es fragt mich allerdings auch niemand, ob ich mitkommen möchte.

Einsam und ohne Empathie

Mein Ärger über die Demütigung durch die Kollegen ist auch abends noch nicht verflogen, als ich nach Hause komme. Mein Partner sollte mir natürlich ansehen, dass ich einen harten Tag hatte und dringend Zuwendung und Liebe brauche. Ich werde schon wieder schrecklich enttäuscht. Der Idiot merkt gar nichts. Selbstverständlich schreie ich ihm meine Wut ins Gesicht. So endet der Tag und die Beziehung.

"Personen mit einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung geraten immer wieder in Konflikte mit anderen Leuten", erklärt Vater. Nicht nur mit Kollegen, auch Beziehungen seien nicht von Dauer, Freundschaften eher instabil. Enge Beziehungen zu anderen Menschen setzen schließlich ein gewisses Empathievermögen voraus. "Narzissten zeigen einen extremen Mangel an Empathie. Sie können zwar erkennen, wenn andere traurig sind, aber sie können nicht wirklich mitfühlen", sagt Vater.

Mehr dazu: Streit in der Partnerschaft: Wer kämpft, verliert

"Wenn Sie jemand sind, der immer wieder Probleme mit anderen Menschen hat, dann ist es sicher gut eine psychologische Beratung bei jemandem in Anspruch zu nehmen, der sich mit Narzissmus auskennt", sagt die Psychologin.

Narzissmus kommt selten allein

Die ständigen Konflikte sind nicht nur für mein Umfeld äußerst unangenehm, sie nagen auch an mir. Das Gefühl, einsam, verkannt und ungeliebt zu sein, macht mich depressiv.

"Häufig kommen Narzissten aufgrund anderer Symptome in die Behandlung", sagt Vater. Eine Depression oder Drogensucht beispielsweise. Komorbiditäten nennt die Psychologin diese nachgelagerten Problematiken.

Um die narzisstische Persönlichkeitsstörung sicher aufspüren zu können, sei ein mehrstündiges diagnostisches Interview notwendig, das sich oft über mehrere Wochen erstrecke. "Für eine Diagnose ist es außerdem hilfreich mit jemandem zu sprechen, der die Person gut kennt", fügt Vater hinzu. 

Das Muster erkennen

Angenommen, ich würde mich mit meinem Verdacht, eine Narzisstin zu sein, an die Verhaltenstherapeutin Aline Vater wenden - heilen könnte sie mich nicht. "Per Definition sind Persönlichkeitsstörungen Muster, die in der Kindheit verwurzelt und über den Lebenslauf hinweg stabil sind", erklärt Vater.

Deshalb gehe es nicht um Heilung, sondern darum zu verstehen, warum sich dieses Muster entwickelt hat und eine Art "Handbuch für sich selbst zu entwerfen", das den Umgang mit der Störung möglich macht, so Vater.

Narzissten seien in der Kindheit von ihren Eltern entweder stark auf- oder abgewertet worden. "In beiden Fällen wurde den kindlichen Bedürfnissen nicht gerecht." Die Entwicklung eines übergroßen Selbst, hinter dem sich eine eigentlich geschundene Seele verbirgt, kann die Folge sein

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Angenommen, ich säße nach einer Weile therapeutischer Behandlung wieder in einer unserer Redaktionskonferenzen. Mein Wunsch, bewundert und geschätzt zu werden, wäre vermutlich immer noch groß. Ich wäre auch nach wie vor schnell gekränkt und beschämt, wenn sich dieser Wunsch nicht erfüllt.

Anstatt aber anderen die Schuld für mein zerschmettertes Selbstwertgefühl zu geben, wäre ich in der Lage, das Muster zu erkennen, das diesen Gefühlen zugrunde liegt. So könnte ich mein Verhalten anderen gegenüber nach und nach ändern: weniger Wut, weniger hohe Erwartungen, mehr Empathie. Dann wäre ich wahrscheinlich auch weniger allein.