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Aufrecht gehen!

Tillmann Bendikowski20. August 2013

Wir stellen jede Woche ein Bild vor und erzählen seine Geschichte. Diesmal gehen wir zurück in das Jahr 1913: Preußische Soldaten lernen fürs Leben

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Zwei Soldaten lernen unter Aufsicht des Unteroffiziers (re.) den aufrechten Gang. (Copyright: Ullstein Bild)
Zwei Soldaten lernen unter Aufsicht des Unteroffiziers den aufrechten GangBild: ullstein bild/Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl

Das ist doch wahre Kameradschaft, mag man sich beim Anblick dieses Fotos aus dem Jahr 1913 denken. Aber in diesem Falle ist das gegenseitige Stützen keineswegs ein Akt freiwilliger Hilfsbereitschaft. Vielmehr handelt es sich um eine befohlene Übung im Rahmen der preußischen Militärausbildung: Der Herr rechts im Bild ist ein Unteroffizier, und mit seiner tatkräftigen Hilfe erlernen zwei Rekruten eines Berliner Kavallerie-Regiments gerade den aufrechten Gang!

Dass der Mensch als Soldat ganz anders durch das Leben schreitet als ein Zivilist, ist in Preußen selbstverständlich. Hier ist Mann erst wer, wenn er „gedient" hat. Zwei Jahre dauert die Militärzeit, Abiturienten können bei verkürzter Dienstzeit zum Reserve-Offizier aufsteigen. Überhaupt kann der preußische Leutnant wie ein Gott durch die Welt schreiten, der Gesinnungsmilitarismus ist Alltag in der wilhelminischen Gesellschaft. Schon in der Schule heißt es: „Lerne vom Militär!", und die Pädagogik schätzt Zucht und Ordnung fast über alles.

Dabei ist gerade das Kasernenleben in erster Linie sturer Drill. Es wird das Strammstehen geübt, das Grüßen und Marschieren. Das ist fast schon Dressur, oft genug reine Schikane und zuweilen Misshandlung durch Vorgesetze. Die Öffentlichkeit reagiert zunehmend sensibler: Seit den 1890er Jahren passiert kein Militäretat mehr den Reichstag ohne eine Debatte um das Thema Soldatenmisshandlung. Regelmäßig werden jetzt wahre „Schreckensbilder aus dem Kasernenleben" bekannt.

Der letzte große Prozess in dieser Frage wird 1914 gegen Rosa Luxemburg geführt: Die Sozialistin hat erneut die Misshandlungen öffentlich angesprochen hat, das preußische Kriegsministerium bezichtigt sie deshalb der Beleidigung. Der Prozess wird allerdings nie beendet – weil der Erste Weltkrieg beginnt. Jetzt schicken Vorgesetzte lange Reihen von Soldaten in aussichtslosen Sturmangriffen gegen feindliche Linien, wobei sie oft genug von Maschinengewehren niedergemäht werden. Die einst eingeübte Fähigkeit zum aufrechten Gang erscheint jetzt nur noch wie bittere Satire.