New Yorker Galerie zeigt Kunst aus Guantánamo
29. Dezember 2017"Der erste Kunsttherapie-Kurs in Guantánamo begann Ende 2008/2009", erzählt der Gefangene, der im Katalog zu der Ausstellung nur mit dem Kürzel "DA" auftaucht. Dahinter verbirgt sich der Häftling Djamel Ameziane aus Algerien, der von 2002 bis 2013 in dem Gefangenenlager der Guantánamo-Bay auf Kuba inhaftiert war. Angeregt durch die Anleitung der Beschäftigungstherapeuten, begann er damals erstmals, Landschaften zu malen, Schiffe in Seenot, und immer wieder Bäume, Häuser, Innenräume. Für ihn war das die Welt "da draußen".
Er träumte sich damit aus der Enge seiner Zelle, aus dem öden Alltag im Guantánamo-Gefängnis heraus, berichtete er den Kuratoren, die seine Bilder für die Ausstellung "Ode to the Sea: Art from Guantánamo" ausgewählt haben. Zu sehen sind seine Bilder und die von sieben weiteren Häftlingen derzeit in der New Yorker "President's Gallery" in Manhattan. Die Galerieräume gehören zum John Jay College of Criminal Justice, einer renommierten juristischen Hochschule in den USA. Bilder aus einer Innenwelt, die der Öffentlichkeit sonst verborgen sind.
Umstrittenes Ausstellungskonzept
Zaghafte Farbtupfer in Blau, Rot, Grün, Gelb. Sie kreisen um sich, werden enger und enger, stürzen hinab in einen unaufhaltsamen Abwärtsstrudel. Die durcheinander wirbelnden Pünktchen erzeugen schon bald ein unangenehmes Schwindelgefühl: "Vertigo", auf deutsch "Schwindel", ist das Aquarell des Häftlings Ammar Al-Baluchi betitelt, das mit 35 anderen Arbeiten in der New Yorker Ausstellung hängt.
Als die Galerie im Oktober 2017 ihr Vorhaben ankündigte, Kunst aus Guantánamo auszustellen, gab es in der Öffentlichkeit sofort heftige Debatten, nicht nur in den USA. Mittlerweile mischt sich sogar die Trump-Administration ein. Das Gefangenenlager war nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von der Bush-Administration eingerichtet worden, um mutmaßliche islamistische Attentäter zu internieren, die dort auf ihren Prozess warten sollten. 780 Gefangene waren dort anfangs inhaftiert, die meisten wurden weder angeklagt noch verurteilt.
Das international umstrittene Gefangenenlager an der kubanischen Guantánamo-Bucht war für seine extrem harten Haftbedingungen berüchtigt. Vorwürfe wegen Foltermethoden und unmenschlicher Zwangsernährung der Gefangenen, die zum Teil mit Hungerstreik gegen die brutalen Haftumstände protestierten, bestimmten lange die Schlagzeilen. Die späteren Möglichkeiten der Häftlinge, sich abzulenken und auch kreativ zu betätigen, sind weniger bekannt.
Ausbruch aus dem Gefängnisalltag
Seit der frühere US-Präsident Barack Obama Anfang 2009 die Haftauflagen deutlich lockern ließ, ist den Gefangenen der Konsum von Medien, Fernsehen, DVDs und Zeitungen ebenso erlaubt wie die Teilnahme an Beschäftigungs- und Kunsttherapien. In ihren Zellen dürfen die Häftlinge sogar Modellboote bauen. Das US-Militär hat erkannt, dass der Umgang mit künstlerischen Mitteln den Häftlingsalltag hinter Gittern positiv beeinflussen kann. Vier der mit ihren Bildern ausgestellten Häftlinge konnten bereits entlassen werden.
Der Zugang zu der Ausstellung ist etwas versteckt. Wer den fünften Stock der John Jay Hochschule für Justiz im Westen Manhattans erreicht, kann insgesamt 36 Arbeiten von acht verschiedenen Guantánamo-Häftlingen bewundern: Aquarelle und Zeichnungen aus der engen und streng bewachten Gefängniswelt. Bislang haben nur 500 Besucher dorthin gefunden. Aber im Netz haben sich bereits mehr als 20.000 durch den digitalen Ausstellungskatalog geklickt, berichtet Kuratorin Erin Thompson stolz.
"Die See bedeutet einfach Freiheit"
Im eindrucksvollen digitalen Katalog, der auch Briefe, Gedichte und kurze Texte der Gefangenen enthält, ist eineVideoarbeit von Mansoor Adayfi eingebaut, der vor der Kamera von den Anfängen seiner künstlerischen Arbeit im Gefängnis berichtet. "Einige der Zeichnungen waren eine Mischung aus Hoffnung und Schmerz. Die See bedeutet einfach Freiheit, die niemand kontrollieren kann", sagt Adayfi darin. "Menschen werden immer alles tun, um ihre Gedanken der Hölle entkommen zu lassen", hört man ihn im Hintergrund abstrakter Wasser- und Wellenbilder sagen. 2016 konnte er Guantánamo endlich als freier Mann verlassen.
Bilder als Fenster zur Außenwelt
Aus der Sicht der Gefängnisaufseher sind Gefangene, nicht nur in Guantánamo, meist nur eine Nummer, untergeordnet und anonym. In der New Yorker Ausstellung haben die Häftlinge einen Namen, jeder kann ihre Biografie, ihre Herkunft nachlesen, betonen die Kuratoren. Damit geben ihnen die Bilder und Texte ein Stück ihrer Identität zurück.
Die Werke selbst sind ab sofort explizit Regierungseigentum der Vereinigten Staaten. Der Transfer von Kunstwerken aus Guantánamo sei in Zukunft verboten, teilte Pentagonsprecher Ben Sakrisson in dieser Woche der Nachrichtenagentur dpa mit.
Zum Glück sind die Kunstwerke aus Guantánamo noch im Netz zu sehen. "Wir wollen, dass die Menschen draußen nicht denken, dass wir nur negative Leute sind. Wir sind keine Extremisten, wir hassen schöne Dinge nicht", sagt Häftling Moath Al-Alwi in einem Interview im Katalog. Für ihn waren seine Zeichnungen das Fenster zur Welt, die auf ihn wartet.