Wenn der Deal platzt...
9. Mai 2016Das Szenario, das in der "Bild-Zeitung" am Montag ausgebreitet wird, klingt abenteuerlich: Einige griechische Ägäis-Inseln werden zu zentralen Aufnahmeorten für Flüchtlinge gemacht, dort werden die Gestrandeten registriert. Der Schiffsverkehr zum griechischen Festland wird ausgesetzt, damit die Flüchtlinge nicht unkontrolliert in die Europäische Union kommen können. Mit anderen Worten: Die Asylbewerber würden auf den Inseln festsitzen, abgelehnte Bewerber könnten von dort direkt in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Und die Milliarden Euro an Unterstützung, die bisher die Türkei als Partner der EU in der Flüchtlingspolitik erhalten soll, werden nach Athen überwiesen.
So beschreibt die Zeitung die Überlegungen einiger EU-Staaten, sollte der Flüchtlingsdeal mit der Türkei scheitern. Das Blatt beruft sich auf Aussagen von hochrangigen Politikern, die natürlich anonym bleiben wollen. Tatsache ist aber auch, dass die Bild-Zeitung über erstklassige Kontakte in die deutsche Regierung hinein verfügt.
Regierung dementiert eilig
Dennoch bemühte sich eben diese deutsche Regierung schnell, die Gerüchte zu dementieren. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte: "Es gibt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Umsetzung der Vereinbarung weiter voranschreitet." Auch die Bundesregierung tue alles, um ihren Beitrag zu leisten. "Insofern stellt sich die Frage nach Alternativen nicht", fügte der Sprecher hinzu. Und in Brüssel hieß es von Seiten der EU-Kommission, sie kommentiere keine Presseberichte. Eine Sprecherin verwies aber auf Äußerungen von Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Der hatte am Wochenende gesagt: "Wir haben mit der türkischen Regierung verhandelt, wir haben das Wort der türkischen Regierung und wir werden weiterhin mit der türkischen Regierung zusammenarbeiten."
Sorge nach Davutoglu-Rücktritt
Klar ist aber auch: In der EU wachsen die Sorgen, dass die seit März bestehende Vereinbarung mit der Türkei langfristig bestehen bleibt. Sie sieht vor, dass die Türkei in Griechenland gestrandete Bürgerkriegsflüchtlinge zurücknimmt. Die Türkei erhält dafür drei Milliarden Euro von der EU. Die Auszahlung verläuft aber noch schleppend, sehr zum Ärger Ankaras. Und: Die Türkei darf sich Hoffnungen auf Visa-Erleichterungen in der EU machen.
Gleichzeitig beobachtet die EU aber die Politik des autokratischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit großer Skepsis. Zuletzt hatte Erdogan seinen Ministerpräsidenten Davutoglu zum Rücktritt gezwungen. Gerade der, so heißt es in Berlin, sei ein Garant für den Flüchtlingsdeal gewesen. Vor allem die Bundeskanzlerin hatte ein belastbares Verhältnis zu ihm aufgebaut. Wenn in der EU also über Alternativen zum Türkei- Deal nachgedacht wird, wäre es nicht verwunderlich.
Wellmann: Aufregung nicht zu verstehen
"Ich kann die ganze Aufregung nicht nachvollziehen", sagte der CDU Außenpolitiker Hans-Georg Wellmann zur DW. "Es ist doch klar: Wir können uns nicht auf Gedeih und Verderb auf die Türkei verlassen, an Alternativen zu denken ist normal." Und: Schon vor der Vereinbarung mit Ankara habe die EU in Griechenland und auch in Italien Hotspots für die Flüchtlingsaufnahme geschaffen und nach eigenen Wegen gesucht, die Zahl der Flüchtlinge zu verringern.
Diese Zahl ist im April erneut gesunken. Merkels Sprecher Steffen Seibert sagte am Montag, zuletzt seien rund 16.000 Flüchtlinge in Deutschland erfasst worden, im Vormonat seien es noch 20.600 gewesen. Der Grund ist in erster Linie darin zu suchen, dass der Weg über den Balkan für die Menschen aus Syrien oder dem Irak praktisch versperrt ist.
Österreich: Faymann mag nicht mehr...
Wie stark aber das Thema Flucht die Politik der EU-Staaten nach wie vor bestimmt, zeigt der Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann von der SPÖ. Seine Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen hatte in der Flüchtlingspolitik eine Kehrwende vollzogen und die Grenzen des Landes weitgehend geschlossen. Dennoch siegte bei der Präsidentenwahl im April die rechtspopulistische FPÖ, die Flüchtlingspolitik bestimmte den Wahlkampf. Daraus zog Faymann nun die Konsequenz.