Bilateral zum freien Weltmarkt
19. September 2003Gejubelt haben sie, und sie fühlten sich als Sieger. Eine Gruppe von über 20 Entwicklungs- und Schwellenländern hatte erfolgreich den Abbruch der WTO-Ministerkonferenz erzwungen. Das vorzeitige Ende sei eine Demonstration ihrer neu gewonnenen Stärke und Bedeutung, ließen die Länder verlauten.
Zurück zur Zweiseitigkeit
Ob sich die Entwicklungsländer mit ihrer Blockade wirklich einen Gefallen getan haben, bezweifeln indes nicht wenige. Nach dem Scheitern des in Doha begonnenen Verhandlungsprozesses hätten neue Verhandlungen erst im Jahr 2005 eine wirkliche Chance. EU-Verhandlungsführer Pascal Lamy hält es für fraglich, dass alle Staaten das Konzept des Multilateralismus aufrecht erhalten werden. "Zwar halte ich persönlich den mehrseitigen Prozess weiterhin für richtig", erklärte er in Cancun. "Die USA werden jedoch versucht sein, verstärkt zweiseitige Handelsabkommen zu schließen." Man müsse zur Diskussion stellen, ob in diesem Fall die EU ihren Kurs weiter halten könne.
Tatsächlich sind bei der WTO schon jetzt 184 zwei- und mehrseitige Freihandelsabkommen registriert. Jahr für Jahr überzieht ein engeres Netz wirtschaftlicher Übereinkünfte die Weltkugel. Auch die EU spielt dabei eine wichtige Rolle. "Eine lange Schlange von Leuten" warte nur darauf, bilaterale Abkommen abzuschließen, erklärte ein EU-Vertreter am Rande der Konferenz.
Zahl der Freihandelszonen wächst
Allerorts werden neue Vereinbarungen konzipiert. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ist am Donnerstag (18.9.2003) zusammengekommen, um über eine Freihandelszone zu beraten. In Madrid begann am gleichen Tag der fünfte iberoamerikanische Gipfel, der sich für ein Freihandelsabkommen zwischen den südamerikanischen Staaten und der Europäischen Union stark machen will. In Asien versuchen indes die zehn Mitglieder der Association of South East Asian Nations (ASEAN) durch die Gründung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums der Macht Chinas und Indiens standzuhalten.
Dass bilaterale Abkommen immer auch etwas mit Kräfteverhältnissen zu tun haben, zeigen vor allem die USA. Man werde sich genau anschauen, wer in Cancun eine "konstruktive Rolle" gespielt habe und wer nicht, hieß es aus Washington. "Positive und freundliche Beziehungen" zu den USA seien natürlich hilfreich, gab US-Handelsvertreter Robert Zoellick zu Protokoll. Was er meinte, bekam Chile zu spüren. Der amerikanische Senat verschob die Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit dem südamerikanischen Land, weil dessen Regierung gegen den Irak-Krieg protestiert hatte. Der zur gleichen Zeit geschlossene Vertrag mit Singapur konnte ungehindert in Kraft treten – das Land hatte die USA im Krieg unterstützt.
Handeln in ganz Amerika
Die größte Freihandelszone der Welt soll indes in Amerika entstehen. Schon seit 1994 planen 34 nord- und südamerikanische Staaten die Free Trade Area of the Americas (FTAA). Von Alaska bis nach Feuerland will man hier Zölle senken, Märkte liberalisieren, den Kapitalfluss vereinfachen und sogar die Infrastruktur vereinheitlichen und miteinander verknüpfen. Zumindest auf dem Papier ist dabei die Rücksichtnahme auf die kleineren Volkswirtschaften gesichert. Bis 2005 soll der Vertrag unterschriftsreif sein.
Es wäre nicht der erste Zeitplan, der im Ringen um Freihandel und wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht eingehalten würde. Die Pleite von Cancun mag die Entwicklungsländer in ihrer Position in der WTO gestärkt haben. Zugleich hat sie jedoch die Fronten verhärtet. Wer Freihandel will, muss dem anderen nun etwas bieten. In zweiseitigen Verhandlungen hat da leicht der Stärkere den Vorteil auf seiner Seite.