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"Big Tech muss weg!" - Wie uns Internetkonzerne dominieren

8. Oktober 2023

Amazon, Google, Facebook und Co. überrollen uns, mahnt der Medienwissenschaftler Martin Andree. "Big Tech muss weg!" fordert er in seinem neuen Buch - und präsentiert auch Ideen, wie das funktionieren könnte.

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Ein Mobiltelefon zeigt die Logos der Internet-Konzerne Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft vor einer Europa-Flagge
Die Big Tech bedrohen unsere Demokratie, sagt der Medienwissenschaftler Martin AndreeBild: Andre M. Chang/ZUMA Press/picture alliance

Ihr Machthunger ist gewaltig: Innerhalb weniger Jahre haben die US-amerikanischen Digitalplattformen das Internet gekapert, sagt Martin Andree. Sie haben mit unsauberen Methoden uneinholbare Monopole gebildet, kontrollieren Traffic und Umsätze, schöpfen gewaltige Gewinne ab. Noch bis 2029 sei Gegenwehr möglich, danach nicht mehr, schreibt der Medienwissenschaftler in seinem jüngsten Buch "Big Tech muss weg!". Im DW-Gespräch warnt er: "Wenn wir das nicht bald ändern, dann war es das mit unserer Demokratie!"

Martin Andree, Medienwissenschaftler der Uni Köln
Bläst zum Kampf gegen die Internetriesen: Martin AndreeBild: Florian Lechner

Martin Andree ist Medienwissenschaftler an der Universität Köln. Schon in seinem "Atlas der digitalen Welt" hat er nachgewiesen, welche Macht die großen US-amerikanischen Internet-Plattformen anhäufen. Er hat die Zugriffe von Nutzern auf Webseiten in Deutschland gemessen und den Werbemarkt im Internet untersucht. "Wir haben gesehen, dass sich fast die ganze Nutzung auf ganz wenigen Plattformen konzentriert", so Andree. Konkret: 70 Prozent des Netzverkehrs. "Der ganze Rest des Internets ist ein riesengroßer Friedhof." 

"Feindliche Übernahme" des Internets

Google, Facebook, Amazon und Co. hätten, einer "feindlichen Übernahme" gleich, das Netz "übernommen" - mit dramatischen Folgen. Doch wie war das möglich? "Zum einen haben sie regulatorische Lücken ausgenutzt und staatliche Institutionen so in die Irre geführt", sagt Andree, "dass wir eine krasse und feudalistische Fehlregulierung haben." Mit lobbyistischen Finten spielten sie seit Jahren Katz und Maus mit den Behörden. 

Eine Hand umfasst ein Mobiltelefon, das die Suchmaske der Suchmaschine von Google zeigt
Die Big Tech haben das Internet mit unsauberen Methoden gekapert, findet Martin AndreeBild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

Wichtiger noch: Werbung landet immer dort, wo Publikum und Käufer sind. Die Gewinne fließen in die Kassen der Digitalkonzerne, die immer reicher werden und Konkurrenten einfach vom Markt wegkaufen. Beispiel 1: Facebook (heute: Meta) verleibt sich 2014 den Messengerdienst Whatsapp ein. Beispiel 2: Elon Musks milliardenschwere Übernahme von Twitter (heute: X) vor einem Jahr.  

Totale Kontrolle der Öffentlichkeit

Die Opfer sind allen voran die Medien - und damit die Informationsvielfalt, konstatiert Andree: Journalismus, Blogger, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, ja selbst globale Konzerne - sie alle hätten keine Chance gegen die Plattformriesen. Auf ihren Internetseiten schauten immer weniger Menschen vorbei. Verbreiten redaktionelle Medien ihren Content auf Plattformen wie Youtube oder Instagram, dann zwangsläufig zu deren Bedingungen - und ohne die Chance, die Kundschaft mit sogenannten Outlinks auf die eigenen Websites zurückzuleiten. "Die Grundlage unserer politischen Meinungsbildung wird in wenigen Jahren durch eine Handvoll US-amerikanischer Plattformen kontrolliert", warnt Andree.

Unter die Räder der Internet-Giganten komme zudem zunehmend auch die Wirtschaft. Immer mehr Käufe und Verkäufe liefen über die großen Plattformen - natürlich zu den Bedingungen der Big Tech Konzerne. Ganz nebenbei fallen ihnen Unmengen an wertvollen Nutzerdaten in die Hände. Das Wissen über Kundenwünsche aber lässt sich zu Geld machen, weiß Andree, etwa durch die Produktion passgenauer Produkte "an den Herstellern vorbei". So vertreibt Amazon mit "amazon basic" bereits eine eigene Produktlinie. Apple ist mit seinem Bezahldienst längst Teil der Finanzwirtschaft. Fairer Wettbewerb? "Abgeschafft!", sagt Andree.

David gegen Goliath

Ist Martin Andree, Jahrgang 1971, der David des Internetzeitalters, der gegen die Goliaths der Tech-Branche zu Felde zieht? Die Anklage des Kölner Medienwissenschaftlers, der selbst ein eigenes Digitalunternehmen betreibt, klingt scharf, stellenweise sogar alarmistisch. Warnende Stimmen wie die seine gab es viele, seit die Tech-Branche einst mit dem kalifornischen Spirit der 1960er-Jahre aufbrach, der Welt neue Freiheit, Austausch und Transparenz zu bringen.

Die Frau, die Big-Tech das Fürchten lehrt

Doch selten hat einer wie Andree die schöne neue Internetwelt so nachvollziehbar erklärt, hat Gewinner und Verlierer so klar benannt und die unabweisbaren Gefahren für Demokratie und Wirtschaft aufgezeigt. Am Ende gibt sich Andree seltsamerweise optimistisch: "Die Machtkonzentration der Internetkonzerne lässt sich brechen", sagt er. "Wir könnten ohne weiteres das Netz befreien, den Traffic wieder pluralistisch gestalten und die existierende Fehlregulierung abschaffen."  

Befreiung des Internets

Andrees Fahrplan zur "Internetbefreiung" stützt sich auf 15 Säulen. Zunächst müssten offene Standards durchgesetzt werden, damit Nutzer über Plattformgrenzen Videos, Bilder und Texte teilen können. Content-Anbieter bräuchten volle Outlink-Freiheit, um Traffic auf ihre eigenen Seiten lenken zu können. Die Tech-Giganten müssten überdies ihre Umsätze und Profite offenlegen, damit Länder sie voll besteuern können. Und schließlich sollten Nutzerdaten ab sofort allen Wettbewerbern zur Verfügung stehen. Gefragt seien jetzt Gesetzgeber und Regulierungsbehörden

"Alle diese Maßnahmen kosten nichts", sagt Andree. "Und die meisten wären sofort umsetzbar, wenn wir wirklich eine Lösung wollen." Ob "Big Tech muss weg!" am Ende der Stein ist, der die Tech-Goliaths zu Fall bringt? Wer weiß. Ein Stein des Anstoßes ist Martin Andrees Buch allemal.