Biden will "nicht spalten, sondern vereinen"
8. November 2020Nach seinem Sieg bei der Wahl in den USA hat der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden die Nation zur Einheit aufgerufen. "Ich verspreche, ein Präsident zu sein, der danach strebt, nicht zu spalten, sondern zu einen", sagte Biden in seiner Siegesrede in seinem Wohnort Wilmington im Bundesstaat Delaware. Er sagte weiter, die Amerikaner hätten ihm mit ihrem Votum "einen großen Sieg" beschert. Das sei die Ehre seines Lebens. Als ein Ziel nannte er, dass die USA in der Welt wieder respektiert werden.
Der frühere Vizepräsident rief zu einem neuen politischen Miteinander auf. Es sei an der Zeit, das Land zu "heilen", die "Ära der Verteufelung" müsse enden. "Wir müssen aufhören, unsere Gegner wie Feinde zu behandeln. Sie sind keine Feinde. Sie sind Amerikaner." Für ihn gebe es keine demokratischen oder republikanische Bundesstaaten, sondern nur die "Vereinigten Staaten", betonte Biden. An die Anhänger von Präsident Donald Trump gerichtet sagte er, er verstehe ihre Enttäuschung. Er habe selbst manche Niederlagen einstecken müssen. "Lasst uns gegenseitig eine Chance geben."
Der 77-Jährige will schon am Montag einen Expertenrat zur Eindämmung der Corona-Pandemie vorstellen. Er werde in diesem Kampf keine Mühe scheuen, sagte Biden. Führende Wissenschaftler und Experten würden ihm helfen, einen "Aktionsplan" zu erstellen, der schon ab dem Tag seiner Amtseinführung am 20. Januar umgesetzt werden könne.
Harris: "Nicht die letzte Frau in diesem Amt"
Die künftige Vize-Präsidentin Kamala Harris betrat zuerst die Bühne und bedankte sich bei den Wählern. Diese hätten eine "klare Botschaft" geschickt. Sie hätten Hoffnung und Einheit, Anstand, Wissenschaft "und ja, Wahrheit" gewählt. Die Demokratie habe bei der Präsidentschaftswahl auf dem Prüfstand gestanden, "die Seele Amerikas stand auf dem Spiel", sagte die 56-Jährige. "Eine Demokratie ist nicht garantiert", betonte die Demokratin. Man müsse sie schützen. Der gewählte Präsident sei ein "Heiler", jemand, der Amerika einen könne, "eine erprobte und zuverlässige Hand".
"Obwohl ich die erste Frau in diesem Amt bin, werde ich nicht die letzte sein", sagt die zukünftige Vize-Präsidentin. "Jedes kleine Mädchen, das heute zuschaut, sieht, dass dies ein Land der Möglichkeiten ist."
Nach einem erbittert geführten Kampf um das Weiße Haus hatte Joe Biden die US-Präsidentschaftswahl gewonnen.Vier Tage nach dem Wahltag riefen die US-Sender am Samstag den früheren Vizepräsidenten zum Sieger aus, womit nach vier von Affären und Skandalen geprägten Jahren die Amtszeit Trumps im Weißen Haus endet.
Entscheidung in Pennsylvania
Die US-Sender meldeten am Samstagmittag (Ortszeit) den Sieg Bidens zuletzt auch im Schlüsselstaat Pennsylvania mit seinen 20 Wahlleuten - und damit auch den Wahlsieg insgesamt. Biden erreichte demnach mindestens 279 Wahlleute. Für einen Wahlsieg brauchte er mindestens 270. Der 77-Jährige wird damit der 46. US-Präsident - und zugleich auch der älteste in der Geschichte des Landes.
In vielen Städten überall in den USA wurde am Samstag nachmittag gefeiert. Nur Sekunden, nachdem Bidens Sieg verkündet worden war, jubelte die Menge vor dem Konferenzzentrum in Philadelphia. Dort hatten sich die Menschen schon seit Tagen versammelt, während in dem Gebäude die Stimmen ausgezählt wurden. Es war hier in Philadelphia, wo Biden am Samstag die entscheidenden Stimmen sammeln konnte, die ihm im US-Bundesstaat Pennsylvania den Sieg und damit die Präsidentschaft brachten.
"Ich bin total begeistert, total begeistert," erklärte Ron Kolla, der vor dem Konferenzzentrum ein Biden-Harris Plakat in die Höhe hielt. "In dem Moment, in dem ich von dem Ergebnis hörte, bin ich so schnell wie möglich in die Stadt gekommen. Ich wollte für diesen historischen Moment hier sein. Das ist die wichtigste Wahl in unserem Leben. Nach vier Jahren der Verrücktheiten von Donald Trump bin ich begeistert, dass Joe Biden und Kamala Harris jetzt im Weißen Haus sind."
"Präsident für alle Amerikaner"
Biden erklärte in einer ersten Twitter-Botschaft, er wolle "Präsident für alle Amerikaner" sein. "Die vor uns liegende Arbeit wird hart sein, aber ich verspreche euch dies: Ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein - ob ihr für mich gestimmt habt oder nicht."
Seine künftige Vize-Präsidentin, Kamala Harris, schrieb bei Twitter, vor ihnen liege viel Arbeit. "Lasst uns anfangen." In Washington und New York sowie vielen weiteren US-Städten strömten die Biden-Anhänger auf die Straßen und feierten frenetisch den Sieg von Biden und Harris.
Trump reklamiert Sieg für sich
Amtsinhaber Donald Trump verweigert in einem beispiellosen Schritt die Anerkennung seiner Niederlage. Er zog erneut den Ausgang der Präsidentschaftswahl in Zweifel und reklamierte den Sieg für sich. "Ich habe die Wahl gewonnen", schrieb der Präsident auf Twitter. Wahlbeobachter seiner Republikanischen Partei seien nicht in Zentren zur Stimmauszählung gelassen worden. "Böse Dinge sind passiert, die unsere Beobachter nicht sehen durften." Er habe 71 Millionen "legale Stimmen" erhalten, mehr als jeder andere amtierende US-Präsident zuvor. US-Medien haben immer wieder betont, dass rechtmäßig registrierte Wahlbeobachter der Parteien die Stimmauszählung überwachen konnten.
Trump hat immer wieder angeblichen Wahlbetrug angeprangert, ohne dafür Belege vorzulegen. Bislang haben die Wahlbehörden in keinem Bundesstaat größere Fälle von Wahlbetrug angezeigt. Trump kündigte an, von Montag an würden seine Anwälte vor sämtlichen Gerichten Einspruch gegen die einzelnen Wahlergebnisse einlegen. Schon zuvor hatte er verkündet, das Wahlergebnis mit allen juristischen Mitteln anfechten und dabei bis vor den Obersten Gerichtshof ziehen zu wollen. Der Präsident spricht ohne jeden Beleg von massivem Wahlbetrug, mit dem die Demokraten ihm die Wahl "stehlen" wollten. Sein persönlicher Anwalt Rudy Giuliani bekräftigte, dass Trump den Sieg Bidens nicht anerkennen werde - mindestens 600.000 Stimmzettel seien bei dieser Wahl zu beanstanden.
Die Erfolgsaussichten der Klagen gelten allerdings als gering. Auch in den eigenen Reihen ist Kritik am Vorgehen des Präsidenten laut geworden, weil er mit dem Wahlsystem einen der zentralen Pfeiler der US-Demokratie angreift. Der konservative US-Senator und Trump-Kritiker Mitt Romney gratulierte Biden zum Sieg - und war damit der erste Parlamentarier aus dem Trump-Lager, der Bidens Wahlsieg anerkannte.
Trump regiert noch bis 20. Januar
Die Amtszeit des Präsidenten läuft noch bis zum 20. Januar. Dann soll Biden als neuer Präsident vereidigt werden. Trump ist der erste amtierende Präsident seit George Bush senior 1992, der eine Wahlniederlage erleidet und nicht für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wird.
Biden war bei der Wahl am 3. November als Favorit ins Rennen gegangen, das Duell verlief dann aber enger als von vielen Meinungsforschern vorhergesagt. Biden unterlag zwar im Swing State Florida, konnte aber die wichtigen Bundesstaaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin im Mittleren Westen von Trump zurückerobern.
Der einstige Stellvertreter von Präsident Barack Obama wird nach vier turbulenten Trump-Jahren ein zutiefst gespaltenes Land übernehmen, das zudem von der Corona-Pandemie schwer getroffen ist. Trump gilt als einer der umstrittensten Präsidenten der US-Geschichte, seine seit Anfang 2017 laufende Amtszeit wurde von zahlreichen Affären und Skandalen begleitet. Der Präsident hat mit rechtspopulistischer Rhetorik, nationalistischer Politik und wüsten Beschimpfungen politischer Gegner viele Menschen gegen sich aufgebracht. Zugleich hat der Verfechter von "Amerika zuerst" eine riesige Anhängerschaft.
kle/ack (afp, dpa, rtr)