Biden stärkt die Ostflanke moralisch
22. Februar 2023Beim Gipfeltreffen mit den Staatschefinnen und -chefs aus neun östlichen NATO-Staaten in Warschau hat US-Präsident Joe Biden die Kernbotschaft seiner Reise nach Polen und in die Ukraine wiederholt. "Die Verpflichtung der Vereinigten Staaten gegenüber der NATO ist absolut eindeutig. Ich habe es oft gesagt und ich sage es noch einmal: Der Artikel fünf ist eine heilige Pflicht, die die USA eingegangen sind. Wir werden jeden Inch des NATO-Gebiets verteidigen", versicherte Biden im Präsidentenpalast. Artikel fünf des NATO-Vertrages legt den gegenseitigen Beistand im Falle eines Angriffes fest. "Der russische Angriff auf die Ukraine hat Auswirkungen auf die Sicherheitslage in der ganzen Welt", sagte der polnische Gastgeber, Präsident Andrzej Duda. Ein Jahr nach dem Beginn der russischen Aggression wolle man Wege finden, wie man der Ukraine noch besser helfen könne, solange es nötig sei.
Zusätzliche Waffen für die Ukraine, wie etwa die Lieferung von Kampfflugzeugen vom Typ F-15 oder weitreichende Artillerie, wurden hinter verschlossenen Türen wohl angesprochen. Konkrete Beschlüsse wurden nach dem Gipfeltreffen der neun Staaten an der östlichen Flanke der NATO mit den USA nicht veröffentlicht. Vor dem Hotel von US-Präsident Joe Biden forderten pro-ukrainische Demonstranten: "Gib der Ukraine F-15 jetzt!" In Kiew hatte Biden bei seinem Besuch im Kriegsgebiet den dringenden Wunsch aus dem Munde von Präsident Wolodymyr Selenskyj gehört. Ohne diese Waffen, so sagten es ukrainische Politiker und Experten auch nach der Grundsatzrede von Präsident Biden am Dienstag in Warschau, lasse sich der Krieg nicht gewinnen.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der ebenfalls an dem Gipfeltreffen in Warschau teilnahm, sagte, der Westen müsse seine Unterstützung für die Ukraine ausweiten. "Ein Jahr nach der russischen Invasion bereitet Putin keinen Frieden vor. Im Gegenteil, er bereitet mehr Krieg vor." Man müsse der Ukraine deshalb geben, was sie brauche, um zu siegen, sagte Jens Stoltenberg.
B9 soll die Interessen der Ostflanke vertreten
Als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine und die Annexion der Krim-Halbinsel 2014 bildeten im Jahr darauf, auf Initiative Rumäniens und Polens, neun Staaten in Bukarest die Gruppe der Neun (B9). Dazu gehören die ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland, Litauen, sowie die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Diese östlichen Mitgliedsstaaten der NATO, die - bis auf Tschechien und Bulgarien - alle eine Grenze zu Russland, Belarus oder der Ukraine haben, fühlen sich von Russlands Aggression bedroht. Sie wollen bei der Verteidigung der östlichen Flanke der Allianz eng zusammenarbeiten und erhalten Unterstützung von den übrigen NATO-Mitgliedern.
Acht Kampfgruppen im Osten
Nach dem breit angelegten Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine im vergangenen Jahr hat die NATO vier neue sogenannte Kampfgruppen in der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien aufgestellt. Vier "Battle Groups" bestanden bereits in den baltischen Staaten sowie in Polen. Sie wurden 2017 wegen der Attacken prorussischer Kräfte in der Ost-Ukraine eingerichtet. Die multinationalen Verbände mit Soldatinnen und Soldaten aus mehreren NATO-Staaten umfassen rund 1000 Personen, was einem Bataillon entspricht. Die Kampfkraft oder Abschreckungswirkung dieser Einheiten ist nicht sonderlich groß. Sie sollen eher die Verpflichtung der NATO-Staaten symbolisieren, das Bündnisgebiet gemeinsam zu verteidigen, sollten Russland oder Belarus angreifen.
Die NATO organisiert außerdem mit multinationalen Fliegerstaffeln die Überwachung des Luftraums an der Ostgrenze. Rund 30 alliierte Flugzeuge sind ständig zu Patrouillenflügen unterwegs. Sie könnten im Ernstfall gegnerische Flugzeuge abfangen. Die NATO hat beschlossen, den Schutz vor Raketen und Marschflugkörpern aus Russland an der Ostflanke auszubauen. Im Moment, so sagen es Militärs in Brüssel, sei die Abwehr eher lückenhaft. Zusätzliche Abwehrsysteme vom Typ Patriot sind dringend nötig. Die NATO hat außerdem zusätzliche Marine-Schiffe in das Schwarze Meer verlegt, um die Küsten von Rumänien und Bulgarien zu schützen.
Es geht nicht um Polen allein
Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte, das Treffen der neun Flanken-Staaten mit dem amerikanischen Präsidenten und dem Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, sei "extrem symbolisch und sehr wichtig für uns alle, für die ganze Region". Duda meinte, Biden besuche damit nicht nur Polen allein. "Der B9-Gipfel wird als ein Treffen mit der gesamten östlichen Phalanx gesehen und präsentiert. Polen agiert da nur als primus inter pares, aber nicht als Anführer der gesamten Gruppe", sagte der Politikwissenschaftler Marek Madej von der Universität Warschau der DW. Polen ist das größte der neun Länder mit einer stark national ausgerichteten Regierung.
Mehr US-Truppen nach Europa?
US-Truppen sind am stärksten in Polen vertreten. Dort sind derzeit etwa 10.000 Frauen und Männer stationiert, allerdings nicht permanent. Der größte Teil rotiert aus deutschen US-Standorten oder den USA selbst auf ihre Posten in Polen und wird nach einigen Monaten abgelöst. Die USA führen die Kampfgruppe der NATO an, die in Polen stationiert ist. Bilateral haben die USA ungefähr eine Brigade (3500 Truppen) in Polen stehen. Ein vorgeschobenes Hauptquartier der USA-Truppen kann bei Bedarf dafür sorgen, dass schnell größere Kampfverbände der Amerikaner nach Osten verlegt werden können."Die Vorstellung der Polen ist es, aber das haben andere auch vorgeschlagen, die NATO-Truppen in jedem der Flanken-Staaten auf das Niveau einer Brigade aufzustocken", erläutert Michal Baranowski von der transatlantischen Denkfabrik German Marshall Fund. Im Prinzip hatten sich die USA beim NATO-Gipfel im Sommer 2022 in Madrid bereit erklärt, im Bedarfsfall noch mehr Truppen zu schicken. Darüber soll nun beim nächsten NATO-Spitzentreffen im Juli in Vilnius entschieden werden.
Neben ihren Führungsaufgaben in der NATO-Kampfgruppe in Polen sind US-Truppen in kleinerer Zahl an sieben der acht NATO-Kampfgruppen an der Ostflanke beteiligt. Insgesamt haben die USA in weiteren NATO-Einrichtungen und bilateral rund 100.000 Soldaten und Soldatinnen in Europa stationiert. Den größten Teil davon in Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien. In den Hochzeiten des Kalten Krieges waren es viermal so viele.
Ungarn zieht nicht mit
In der B9-Gruppe tanzt Ungarn aus der Reihe. In der kleinsten NATO-Kampfgruppe in Ungarn sind keine US-Soldaten vertreten. Der ungarische Premier Viktor Orban hatte der Einrichtung einer NATO-Kampfgruppe nur zögerlich zugestimmt. Er ließ nur Soldaten aus Kroatien in sein Land. Die ungarische Regierung unterhält als einziges NATO-Land immer noch relativ gute Beziehungen zu Wladimir Putins Regime. Ungarn bezieht preisgünstiges Gas aus Russland. Russische Unternehmen bauen in Ungarn ein Atomkraftwerk. Erst letzte Woche hatte der nationalistische Viktor Orban in einer Rede an die Nation gesagt, sein Land werde keine Waffen an die Ukraine liefern und fühle sich von Russland nicht bedroht. "Wir müssen uns raushalten", hatte Viktor Orban angemerkt. Ungarn dürfe sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen. Ungarn sei in Europa mit dieser Haltung zusammen mit dem Vatikan alleine, räumte Orban ein. Schuld daran sei Deutschland, das einen Konfrontationskurs eingeschlagen und andere EU-Staaten mitgezogen habe.
Der ungarische Regierungschef soll nach Angaben von Diplomaten in diesen Tagen wieder einmal versuchen, ein neues Sanktionspaket gegen den russischen Aggressor in der Europäischen Union zu blockieren. Ungarn hat außerdem als einziges NATO-Mitglied neben der Türkei den Beitritt Schwedens und Finnlands zur Allianz noch nicht ratifiziert. Das Online-Portal "Politico" nannte Orban den "Saboteur Putins" in Europa.