"Eine der größten Luftbrücken der Geschichte"
31. August 2021Die Rückführung der Truppen zum 31. August sei nicht auf eine "willkürliche Frist" zurückzuführen, sagte Joe Biden im Weißen Haus. "Sie war so ausgelegt, um amerikanische Leben zu retten." Sein Amtsvorgänger Donald Trump habe eine Vereinbarung mit den Taliban geschlossen und den Abzug der US-Truppen zugesagt. Er selbst habe die Wahl gehabt, daran festzuhalten oder Zehntausende weitere US-Soldaten nach Afghanistan zu schicken und den Einsatz fortzusetzen. Die USA hätten allein die Wahl gehabt, das Land zu verlassen oder den Konflikt zu eskalieren. Er habe den Krieg nicht ewig verlängern wollen, betonte Biden. Und er habe auch den Abzug nicht ewig verlängern wollen. "Es war an der Zeit, diesen Krieg zu beenden."
Der US-Präsident nannte den Evakuierungseinsatz einen außergewöhnlichen Erfolg. "Wir haben eine der größten Luftbrücken der Geschichte abgeschlossen". Kein Land habe jemals etwas Vergleichbares auf die Beine gestellt. Neunzig Prozent der Amerikaner in Afghanistan, die das Land verlassen wollten, seien dazu in der Lage gewesen, sagt Biden in seinen ersten öffentlichen Bemerkungen seit dem Abschluss des Abzugs am Montag. Es werde davon ausgegangen, dass sich noch 100 bis 200 US-Bürger in Afghanistan aufhielten. Biden wies erneut die Kritik zurück, der Abzug hätte geordneter abgewickelt werden können. Die "Herausforderungen", mit denen man konfrontiert gewesen sei, seien "unvermeidbar" gewesen.
Biden droht den Terroristen
Die Vereinigten Staaten werden nach Aussage von Biden auch nach dem Abzug aus Afghanistan weiter gegen den örtlichen Ableger der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) vorgehen. Er warnte die Gruppe, die sich zum jüngsten Anschlag am Flughafen in Kabul bekannt hatte, die USA würden sie weiter verfolgen. "Wir sind mit Euch noch nicht fertig", betonte der Präsident im Weißen Haus. Der Kampf gegen den Terror gehe auch nach dem Abzug aus Afghanistan weiter, wenn auch ohne Bodentruppen. Die USA würden Terroristen, die das Land angriffen, "bis zum Ende der Welt jagen und fassen", erklärte Biden. "Wir werden nicht vergeben, wir werden nicht vergessen."
Mit Blick auf den raschen Vormarsch der Taliban machte Biden die frühere afghanische Regierung und die Sicherheitskräfte des Landes für die Machtübernahme der Taliban verantwortlich. Das afghanische Militär sei entgegen aller Erwartungen kein starker Gegner im Kampf gegen die Taliban gewesen, sagte er. Die afghanische Regierung sei kollabiert, Präsident Aschraf Ghani sei außer Landes geflohen. Sie hätten damit "das Land ihren Feinden übergeben, den Taliban". Damit sei die Gefahr für die US-Streitkräfte und ihre Verbündeten gestiegen. Zu möglichen eigenen Fehlern beim Abzug der US-Soldaten äußerte sich der Präsident nicht.
"Keine Deadline" für zurückgebliebene US-Bürger
Biden ist wegen der teils chaotischen Umstände des Truppenabzugs, der Machtübernahme der Taliban und wegen des jüngsten Anschlags am Flughafen von Kabul mit mehr als hundert Toten in die Kritik geraten. Unter den Todesopfern des Anschlags waren auch 13 US-Soldaten.
Kritisiert wird Biden auch dafür, dass zahlreiche US-Bürger in Afghanistan zurückgelassen wurden. Der Präsident bekräftigte nun, die USA seien entschlossen, ihnen bei der Ausreise zu helfen, sollten sie dies wünschen. "Für die verbleibenden Amerikaner gibt es keine Deadline."
Mit dem Abzug der letzten US-Soldaten vom Flughafen Kabul war in der Nacht zu Dienstag der internationale Afghanistan-Einsatz nach fast 20 Jahren zu Ende gegangen. Biden hatte im Juli angekündigt, dass alle US-Truppen bis zum 31. August abgezogen werden. Nach der Abzugsankündigung hatte der Siegeszug der Taliban rasant an Tempo zugelegt. Mitte August übernahmen die Islamisten, deren Regime der US-geführte Einsatz Ende 2001 gestürzt hatte, wieder die Macht. Seitdem flogen die USA und ihre Verbündeten unter Hochdruck eigene Bürger und afghanische Mitarbeiter außer Landes. Auch die Evakuierungsmission endete in der Nacht zu Dienstag.
Lehren für die Zukunft
Biden kündigte ferner weitreichende Konsequenzen für künftige militärische Einsätze an. "Wir müssen aus unseren Fehlern lernen" sagte er. "Bei dieser Entscheidung über Afghanistan geht es nicht nur um Afghanistan. Es geht darum, eine Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden." Künftige Einsätze müssten klare, erreichbare Ziele haben. Sie müssten sich außerdem "auf das grundlegende nationale Sicherheitsinteresse" der USA konzentrieren.
Biden sagte, in Afghanistan hätten die USA erlebt, wie eine Mission zur Terrorismusbekämpfung sich in einen Einsatz zur Aufstandsbekämpfung, zum Aufbau einer Nation und zur Schaffung eines demokratischen, zusammenhängenden und geeinten Landes verwandelt habe. Das sei "etwas, das in der jahrhundertelangen Geschichte Afghanistans nie erreicht wurde". Der Präsident fügte hinzu: "Wenn wir diese Denkweise und diese Art von großangelegten Truppeneinsätzen hinter uns lassen, werden wir zu Hause stärker,effektiver und sicherer sein."
kle/rb (dpa, rtr, afp)