Beweise für Anschlag auf UN-Chef Hammarskjöld
27. September 2013Seit dem ungeklärten Tod des UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld gibt es den Verdacht, dass sein Flugzeug am 18.September 1961 abgeschossen wurde. Sein Tod war ein Schock für die Weltgemeinschaft. Nun könnten die UN den Fall neu aufrollen. Hammarskjöld gilt als der bedeutendste UN-Generalsekretär, der bis heute Standards gesetzt hat, so der Politiologe Manuel Fröhlich von der Universität Jena. "Auf ihn gehen die UN-Blauhelmtruppen und die internationalen UN-Vermittler zurück." Posthum wurde Hammarskjöld der Friedensnobelpreis zuerkannt.
Doch im kalten Krieg war der Schwede für die großen Mächte unbequem, denn er setzte sich für Kooperation und Verständigung ein und stärkte die afrikanischen und asiatischen Länder in ihrem Uabhängigkeitsbestreben. Die Sowjets forderten gar seine Absetzung. Die damalige Krise im Kongo verstärkte den Druck auf den Generalsekretär.
Nach dem Ende der belgischen Kolonialherrschaft tobte im Kongo ein blutiger Konflikt. Rebellen hatten die rohstoffreiche Provinz Katanga im Osten des Landes für eigenständig erklärt, unterstützt von belgischen Söldnern. UN-Truppen konnten die Situation nicht entschärfen. Darum flog Hammarskjöld zu Friedensgesprächen mit Rebellenführer Moise Tshombé nach Ndola, Nord Rhodesien. Doch wenige Kilometer vor dem Ziel stürze seine Maschine in den Dschungel. Ein Pilotenfehler oder ein Komplott?
"Überzeugende Beweise"
Anfang des Monats veröffentlichte in London eine Kommission unabhängiger Juristen - darunter Steven Sedley, ehemals Richter am Europäischen Gerichtshof und der frühere Chefankläger des UN-Jugoslawientribunals, Richard Goldstone - einen Bericht. Er kommt zu dem Schluss, dass Hammarskjölds Flugzeug abgeschossen wurde. Nun wird eine neue offizielle Untersuchung der Todesumstände des UN-Chefs gefordert.
Die Kommission hält es für "nahezu sicher", dass als 'top secret' eingestufte Dokumente im Archiv des US-Geheimdienstes NSA (National Security Agency) einen Anschlag beweisen können. Doch die US-Behörden verweigern die Einsicht in die Akten "aus Gründen der nationalen Sicherheit". Dagegen läuft jetzt eine Klage auf Informationsfreiheit.
"Diese Dokumente könnten die einzig schlüssigen Hinweise darauf liefern, was in den Minuten direkt vor dem Absturz geschah", vermutet Prof. Henning Melber, Chef-Berater und früherer Leiter der Dag Hammarskjöld Stiftung im schwedischen Uppsala.
Die Geheimdienste NSA und CIA (Central Intelligence Agency) könnten den Funkverkehr zwischen dem Tower in Ndola und dem Piloten der Unglücksmaschine aufgezeichnet haben. Außerdem sollen Funksprüche eines weiteren Flugzeugs mitgeschnitten worden sein, das möglicherweise auf Hammarskjölds DC-6 schoss. "I hit it", "Ich habe es getroffen", soll der Pilot darin sagen.
Schlampige Ermittlungen
Viele Anwohner hatten in der Nacht ein zweites Flugzeug gesehen, auch Flammen und Licht am Nachthimmel. Die Kommission fand bei ihren Recherchen noch lebende Augenzeugen. Doch solche Aussagen afrikanischer Zeugen wurden bei den Recherchen rhodesischer Ermittler 1961 ignoriert.
"Die Untersuchungen wurden schlampig geführt. Viele Hinweise wurden gar nicht erst genauer geprüft", sagt der Afrikaexperte Henning Melber der DW. Zudem seien aus Archiven in mehreren Ländern Akten zu dem Fall verschwunden.
"Wenn es Manipulationen gab, dann gab es auch einflußreiche Akteure, die ein großes Interesse daran hatten, das zu verbergen", meint Melber. "Ich bin überzeugt davon, dass es eine ganze Reihe von sogenannten Unfällen in der Geschichte gab, die keine waren".
Der 61 Seiten umfassende Bericht der Kommission liest sich wie ein Thriller, dabei fällt er kein Urteil über die Absturzursache, sondern trägt nüchtern Fakten, Hinweise und neue Recherchen zusammen - und wirft viele Fragen auf.
-Warum kamen Rettungskräfte erst am Nachmittag, 15 Stunden später zur Absturzstelle, die nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt war?
-Warum fand man Hammarskjöld fast unversehrt außerhalb der Maschine, während fast alle Passagiere im Wrack verbrannten?
-Warum steckte an seiner Kleidung eine Spielkarte - Zeichen eines erledigten Auftrags bei Söldnern?
Begehrte Bodenschätze
"Viele Akteure hätten von Hammarskjölds Tod profitiert, vor allem die westlichen Wirtschaftsunternehmen, die die Minen in Katanga ausbeuteten. Angefangen von den Belgiern, über die Franzosen, die Briten, bis zu den Amerikanern. Das Uran für die Hiroshima-Bombe kam aus Katanga," sagt Melber.
Dass die Kommission vor diesem Hintergrund und aufgrund neuer Erkenntnisse eine erneute Untersuchung der Todesumstände von Dag Hammarskjöld fordert, hält er für schlüssig.
"Der Bericht ist seriös, besonders auch, weil die Verschwörungstheorien nicht berücksichtigt wurden, und nur Fakten gesichtet und bewertet wurden", sagt auch Manuel Fröhlich, Professor für Internationale Organisationen und Globalisierung an der Universität Jena.
Dennoch warnt Fröhlich davor, von den NSA-Akten die endgültige Aufklärung im Fall Hammarskjöld zu erwarten. "Wir können nicht davon ausgehen, dass das, was in den NSA-Archiven liegt, nur weil es bisher geheim war, in jedem Fall auch wahr sein muß. Das muß man kritisch untersuchen. Aber man hätte schon ein weiteres Puzzlestück".
Integrität und Innovation
"Es wäre bemerkenswert, wenn sich herausstellt, dass der Repräsentant der Weltgemeinschaft, der Chef der UN, einem Anschlag zum Opfer gefallen wäre ", findet Fröhlich.
Dag Hammarskjöld sei in vielem seiner Zeit voraus gewesen, sagt der Politiologe, der ein Buch zu Hammarskjölds politischer Ethik geschrieben hat. "Eine der wesentlichen Aussagen von Hammarskjöld ist, dass bloße Koexistenz in einer miteinander verbundenen Welt nicht ausreicht, es geht um Kooperation. Und neue Wege für Kooperation zu eröffnen - dafür hat er zu Lebzeiten Formate und Möglichkeiten geschaffen. Das ist hochaktuell."
Dag Hammarskjöld sei bis heute ein Vorbild, sagt Fröhlich "Ban Ki Moon hat schon mehrfach seinen Vorgänger Kofi Annan zitiert, der einmal gesagt hat: Wenn ich mit besonders schwierigen Situationen konfrontiert bin, frage ich mich immer: was hätte Hammarskjöld getan?"
1962 war die offizielle UN-Untersuchung zur Ursache von Hammarskjölds Tod ohne eindeutiges Ergebnis zu den Akten gelegt worden - allerdings mit dem Hinweis, bei neuen Erkenntnissen den Fall jederzeit wieder neu aufnehmen zu können.
"Jetzt liegt die Entscheidung bei den UN-Mitgliedsstaaten," sagt Henning Melber. "Es dürfte interessant werden, welche Staaten sich in den nächsten Wochen für eine Neuaufnahme des Falls einsetzen."