Tsipras in Moskau
6. Dezember 2018Im vergangenen Sommer waren die bilateralen Beziehungen an einem Tiefpunkt angelangt: Griechenland hatte zwei russischen Diplomaten die Einreise verwehrt; im Gegenzug wies Moskau zwei griechische Diplomaten aus. Hintergrund war die Beilegung des langjährigen Namensstreits um "Mazedonien". Das Athener Außenministerium ließ zu diesem Zeitpunkt andeuten, die ausgewiesenen Diplomaten hätten versucht, Beamten zu bestechen, um eine Annäherung an das Nachbarland zu verhindern. Daraufhin ließ Russlands Chefdiplomat Sergei Lavrov einen geplanten Griechenland-Besuch kurzfristig platzen. Wenig später musste der griechische Außenminister Nikos Kotzias zurücktreten, sein Amt leitet nun Tsipras höchstpersönlich. Anlass zu einer Wiederannäherung an den Kreml?
Politikwissenschaftler Thanos Veremis zeigt sich skeptisch: "Um die Beziehung zwischen Griechenland und Russland ist es schlecht bestellt, da Athen das Abkommen um Mazedonien weiterhin befürwortet", sagt der Experte im Gespräch mit der DW. Moskau wolle den nördlichen Nachbar Griechenlands von westlichem Einfluss fernhalten. Dabei werde es auch bleiben - unabhängig davon, wer das Außenministerium in Athen führt. Eine Wiederannäherung an den Kreml sei unter diesen Umständen schwierig, glaubt Veremis. "Derzeit setzt Tsipras voll auf die US-Karte und das ist nachvollziehbar aus seiner Sicht. Darin sieht er nämlich seine Zukunft - soweit er überhaupt eine Zukunft hat", erläutert der Politikwissenschaftler.
Die Wende zum Wirtschafts-Realismus
Vorbei scheinen die Zeiten, als die linksgeführte Regierung in Athen auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise nach Moskau blickte und von allen EU-Partnern zur "Linientreue" angemahnt werden musste. Beim Antrittsbesuch in Moskau im April 2015 musste Tsipras immerhin einsehen, dass der Kreml zwar "vertiefte Wirtschaftsbeziehungen" in Aussicht stellt, aber keine Finanzhilfe an das krisengeplagte Mittelmeerland gewährt. "Die griechische Seite hat uns nicht um Hilfe gebeten" erklärte damals der russische Präsident Wladimir Putin. Umso mehr interessierte sich der Kremlchef allerdings für eine enge Zusammenarbeit im Energiebereich. Schon damals verhandelten Putin und Tsipras über eine Beteiligung Griechenlands an der Gaspipeline Turkish Stream, die russisches Gas durch das Schwarze Meer nach Europa liefern soll. Auch an diesem Freitag steht das Thema auf der Agenda.
Aus griechischer Sicht sei Turkish Stream ein ganz interessantes Projekt, sagt Thanos Dokos, Leiter des Athener Think Tanks ELIAMEP. Allerdings: "Griechenland wird sich nur dann beteiligen, wenn die EU und die USA ihre Zustimmung geben", so der Politikwissenschaftler gegenüber der DW. Ob es dazu kommt sei fraglich - zumal die USA ihre eigene Energiepolitik in der Region verfolgen, um Gas an Südosteuropa über den nordgriechischen Hafen von Alexandroupolis zu liefern, meint Dokos.
Für zusätzliche Komplikationen im östlichen Mittelmeer sorgen türkische Drohungen gegen Zypern wegen der geplanten Gas- und Ölförderung vor der Ostküste der geteilten Insel. Nach Informationen der linksgerichteten "Zeitung der Redakteure" wollen Tsipras und Putin bei ihrem Treffen am Freitagmittag auch über "die Entwicklungen im östlichen Mittelmeer" sprechen. Politikwissenschaftler Veremis glaubt, es sei im Interesse Griechenlands, die westlichen Mächte in die energiepolitische Debatte einzubeziehen und auf Widersprüche türkischer Politik hinzuweisen. "Es kann nicht sein, dass ein NATO-Land wie die Türkei auf der einen Seite russische Energieressourcen nutzbar macht und auf der anderen Seite westlichen Energiefirmen das Recht verwehrt, vor der Küste Zyperns nach Gas zu suchen."
Krise der Orthodoxie
Bei allen Differenzen wird erwartet, dass Tsipras und seine russischen Gastgeber mehrere bilaterale Handels- und Kulturabkommen unterzeichnen. Außerdem bietet der Besuch die Gelegenheit, nette Worte auszutauschen und nach bewährter Manier die orthodoxe Bruderschaft zwischen beiden Ländern zu beschwören. Doch auch hier droht Ungemach: Im Zuge der Ukraine-Krise drängt die Regierung in Kiew auf eine eigenständige orthodoxe Kirche, die unabhängig von Russland ist. Dabei bekommt sie Unterstützung vom "Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel"- dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie mit Sitz in Istanbul, der wiederum ein gutes Verhältnis zu Griechenland pflegt. Der zuletzt eskalierte Konflikt um die kirchliche Unabhängigkeit der Ukraine hat wohl "erheblich zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen Athen und Moskau beigetragen", berichtet die auflagenstärkste Athener Tageszeitung "Ta Nea".
Nach Auffassung von Politikwissenschaftler Veremis sei die Lage komplizierter als auf den ersten Blick ersichtlich. Das Ökumenische Patriarchat hat seine eigene Agenda und die ist nicht unbedingt identisch mit der Agenda der Kirche von Griechenland oder auch der Regierung in Athen", gibt er zu bedenken. Sollte das Thema in Moskau erwartungsgemäß zur Sprache kommen, dann werde die griechische Regierung vermutlich darauf hinweisen, dass sie nicht die Kompetenz hat, sich in die Angelegenheiten des Patriarchats einzumischen.