Bestgeschützte Minderheit
31. Oktober 2007Der äußerst komplizierte Bundesstaat Belgien steht vor einer Zerreißprobe, weil die Flamen mehr Unabhängigkeit für ihren wohlhabenden Landesteil fordern. Eine Staatsreform haben die flämischen Politiker ihren Wählern versprochen. Die Regierungsbildung kommt wegen des Widerstandes aus der armen französisch-sprachigen Wallonie nicht voran. Der Ministerpräsident der Deutschen, Karl-Heinz Lambertz, wittert seine Chance und fordert noch mehr Rechte für seine winzige, aus neun adretten Dorfgemeinden bestehende Minderheit. Verwaltungstechnisch gehören die Wälder und Wiesen an der deutschen Grenze zur wallonischen Provinz Lüttich, aber irgendwie haben es die Deutschen geschafft, bei den letzten Staatsreformen sowohl Kompetenzen als auch Finanzmittel abzusahnen. Die Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) betreibt einen eigenen Hörfunk- und Fernsehsender, der hauptsächlich über das segensreiche Wirken von Herrn Lambertz berichtet. Vier Minister regieren in einem schmuck renovierten Ministerium mit 160 Angestellten. Es gibt ein eigenes Lilliput-Parlament. Die DG ist sogar mit einem garantierten Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten. Jetzt fehlt dem jovialen onkelhaften Regierungschef eigentlich nur noch ein Sitz im UN-Sicherheitsrat.
Forschung und moralische Förderung
Die DG ist für Kultur, Tourismus, Schulen, Ausbildung und die Finanzaufsicht über die Gemeinden zuständig. Wenn sich Flamen und Wallonen weiter zerfleischen, könnte als Brosamen für die Deutschen vielleicht noch die Raumplanung vom Verhandlungstisch fallen. „Eines Tages wollen wir alle Zuständigkeiten einer belgischen Provinz haben“, träumt Oliver Paasch, der Minister für Unterricht, Schule, Forschung (!) und moralische Förderung (!!!). Sollte die "weltweit am beste geschützte Minderheit" (Zitat Herr Lambertz) nicht ihren Willen bekommen oder Belgien gar in seine Gliedsstaaten zerfallen, hat der Ministerpräsident schon mal darüber nachgedacht, sich Luxemburg anzuschließen. Viele entnervte Flamen und Wallonen sagen, die Deutschen sind die eigentlichen aufrechten Belgier, denn sie profitieren am meisten vom Kompetenzwirrwarr, freundlich auch der belgische Kompromiss genannt. Herr Lambertz selbst gab nachdenklich zu Protokoll, vielleicht sind die Deutschen, die erst seit 87 Jahren überhaupt zum Königreich gehören, am Ende auch die letzten Belgier. Angesichts der jetzigen Regierungskrise ist Herr Lambertz aber noch ganz zuversichtlich, dass sie flämische Nationalisten, Separatisten und Wallonen wieder zusammenraufen. Die Trennung des Staates würde am Status von Brüssel, am einzigen Groß-Flughafen Zaventem, an der Aufteilung der Staatsschulden und vielleicht auch am Königshaus scheitern. Die Gründung eines eigenen, dann zweiten deutschen Staates auf belgischem Boden ist vorerst kein Thema. Vorerst.