Bernhard Schlink und sein neuer Roman "Die Frau auf der Treppe"
27. August 2014Ein Gemälde bringt vier Menschen, die sich vor langer Zeit einmal gekannt haben, wieder zusammen. So könnte man die Handlung des neuen Romans von Bernhard Schlink in einem Satz zusammenfassen.
Der namenlose Ich-Erzähler ist ein erfolgreicher Anwalt. Karl Schwind ein berühmter Künstler, der eben jenes Gemälde, "Die Frau auf der Treppe", einst in Öl auf Leinwand gebracht hat. Als dritten männlichen Protagonisten stellt der Autor Peter Gundlach vor, einen schwerreichen Unternehmer, der sich zur Ruhe gesetzt hat. Die Frau auf der Treppe heißt Irene Gundlach, war einst Schwinds Modell, später Gundlachs Ehefrau und für kurze Zeit die Geliebte des Anwalts.
Muse, Ehefrau und Geliebte
Das alles liegt lange zurück. 1968, in Frankfurt und im Taunus, lässt Schlink seine literarischen Figuren aufeinander los. Die Muse Irene wird zur Ehefrau und Geliebten. Drei Männer lieben ein und dieselbe Frau. So unterschiedlich der Autor seine Protagonisten charakterisiert, so verschieden scheinen die Gründe für deren Zuneigung zu Irene.
Ist diese für den Unternehmer in erster Linie eine Trophäe, die er auf seinen Vernissagen stolz herumzeigen kann, so erscheint die Umworbene für den Künstler mehr Muse denn tatsächlich begehrtes Weib. Einzig der Ich-Erzähler hegt wahre Gefühle - so zumindest suggeriert es Bernhard Schlink dem Leser.
Viele Jahre später lässt Schlink seine Protagonisten wieder aufeinandertreffen - diesmal in Australien. Dorthin, an ein einsames Küstenfleckchen, hat sich Irene zurückgezogen. Sie widmet sich schwer erziehbaren Jugendlichen und lebt ansonsten ein bescheidenes Leben.
Irene hat das Gemälde "Die Frau auf der Treppe" in eine Galerie gebracht, nach Jahren ist es nun wieder in der Öffentlichkeit zu sehen. Es dient ihr als Lockmittel. Irene ist sterbenskrank, sie will die drei Männer, die einst eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielten, noch einmal sehen. Der Anwalt entdeckt es bei einem Australien-Aufenthalt und auch Schwind und Gundlach nehmen die Spur auf.
Ganz unterschiedliche Motive der Protagonisten
Und wieder sind die Motive ganz unterschiedlicher Art. Will der Anwalt wissen, warum er einst verlassen wurde von der Geliebten, so hat Schwind Interesse an seinem künstlerischen Vermächtnis. Gundlach hingegen, rechtmäßiger Besitzer des Bildes, giert nach verlorenem Besitz.
"Die Frau auf der Treppe" ist ein Roman über den Umgang der Menschen mit dem Faktor Lebenszeit und dem Älterwerden. "Der Ich-Erzähler", so Bernhard Schlink im Interview, "erkennt in der alten, kranken, vom Tod gezeichneten Irene die jugendliche, lebhafte wieder - und liebt sie wieder. Aber diesmal verschließt er sich der Spannung zwischen der verändernden Kraft der Liebe und den Verfestigungen seines Wesens und Lebens nicht, sondern setzt sich ihr aus."
Wie in seinen früheren Büchern auch stellt sich der Autor die Frage: Was macht die Zeit mit den Menschen? Wie geht der Einzelne mit dem Älterwerden um? "Ich denke, das Älterwerden lädt zu neuer Wahrhaftigkeit ein, sich selbst und anderen gegenüber, und aus dieser neuen Wahrhaftigkeit entsteht die Möglichkeit neuer Nähe", konstatiert Schlink.
Das trifft freilich nur auf den Ich-Erzähler zu - und auf Irene. Die beiden anderen Protagonisten verharren in ihren angestammten Rollen: der des eitlen Künstlers und der des groben Geschäftsmannes. Hier scheint die Vita des Autors durch. Schlink, selber seit Jahren erfolgreicher Anwalt, stand immer schon zwischen den Welten: der des Geistes und der des Geschäftes. Als Jurist, der nebenbei eine erfolgreiche Zweitkarriere als Schriftsteller einschlug, hat Schlink seinen ganz eigenen Platz gefunden innerhalb der literarischen Szene in Deutschland: skeptisch gegenüber dem Literaturbetrieb mit all ihren Eitelkeiten, ebenso ablehnend aber auch gegenüber der nüchternen Welt des schnöden Geschäfts und des Geldes.
Nur einer ist zum Wandel fähig
So erscheint es konsequent, dass Bernhard Schlink von seinen drei männlichen Protagonisten einzig dem Anwalt einen Wandel zugesteht: "Der Ich-Erzähler ist jedenfalls bereit, sein bisheriges Leben nachhaltig zu verändern. Das ist nicht ein Opfer, das er Irene bringt, sondern die Folge einer Erfahrung, die er der Begegnung mit Irene verdankt. Ich weiß nicht, ob in Beziehungen der eine mehr liebt als der andere. Aber oft trifft die Liebe den einen und den anderen an verschiedenen Punkten ihres Lebens und greift in ihre Leben daher auch verschieden ein, mal mehr verändernd und mal weniger."
Mit "Die Frau auf der Treppe" ist sich Schlink einmal mehr treu geblieben: Der Roman ist in der für den Autor so typischen nüchternen, einfachen Sprache geschrieben. Dialoge treiben Handlung und Erzählfluss voran. Es ist eine weitere Versuchsanordnung in Sachen Vergangenheitsbewältigung. Nicht vor so spektakulärem Hintergrund wie beim Welterfolg "Der Vorleser", bei dem es um die Deutschen und den Holocaust ging. Dafür ist der Leser den Figuren diesmal näher, erscheinen deren Probleme doch allzu menschlich.
Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe, Diogenes-Verlag, Zürich 2014, 244 Seiten, ISBN 978 3 257 8647 8.