Schuster: "Deutsche sind immer gefragt"
24. Mai 2019DW: Herr Schuster, Sie waren nach ihrem Wechsel zum FC Barcelona im Jahr 1980 einer der ersten deutschen Fußballprofis, die auch außerhalb der Bundesliga erfolgreich waren. Was war damals in Spanien ihre größte Herausforderung?
Bernd Schuster: Das war kurios, weil es für mich eigentlich gar kein Thema war, ins Ausland zu gehen. Ich war damals noch sehr jung, hatte gerade angefangen, Profi zu sein. Es ging alles sehr schnell. Es war damals noch nicht üblich, dass deutsche Spieler ins Ausland gehen. Die Bundesliga war die Liga überhaupt in ganz Europa. Es war daher gar nichts geplant. Dann ging es sehr schnell. Ich hatte gewisse Probleme in Köln, und vom einen auf den anderen Tag war ich auf einmal in Barcelona in Spanien. Es war im Nachhinein aber keine schlechte Entscheidung. Manchmal ergibt sich das so, man kann nicht alles planen. In meinem Fall war es so. Dass ich so lange bleibe [Anmerkung der Redaktion: von 1980 bis 1993], damit habe ich aber auch nicht gerechnet.
Wie schwer fiel es Ihnen damals, die Sprache zu lernen?
Mir ist es sehr leicht gefallen, weil ich unheimlich viel Interesse hatte. Ich kam dahin und kannte kein 'Buenos dias', kein 'Gracias'. Ich konnte kein Wort Spanisch und hatte auch nie dort Urlaub gemacht. Plötzlich habe ich gemerkt: 'Mensch, du musst die Leute verstehen! So schnell, wie es geht. Das geht so nicht.' Ich habe oft mitbekommen, dass Spieler geredet haben. Und wie man weiß, denkt man dann schnell: 'Die reden über dich.' Da habe ich gesagt: 'Das geht gar nicht.' Ich habe dann verhältnismäßig schnell Spanisch gelernt. Ich hatte aber das Glück, dass unser Vereinsarzt viele Jahre in Berlin studiert hatte und einwandfrei Deutsch sprach. Er war praktisch mein Dolmetscher.
Und auf dem Fußballplatz?
Da war es eigentlich einfacher. Da ging es nicht so um die Sprache. Da ging es um Bewegungen. Da konnte man mal schreien, auch wenn es auf Deutsch war oder auf Englisch.
Man hat ein bisschen aufgepasst und sich schnell angepasst. Im Fußball brauchte man auch ein paar Worte weniger. Da gab es ja nur fünf oder sechs Wörter, die man auf dem Platz benutzt hat. Damit kam man schon ganz gut weiter.
Derzeit gibt es mit Marc-André ter Stegen und Toni Kroos nur zwei Spieler in der Primera Division. Was glauben Sie, warum viele Spieler die Bundesliga nicht verlassen und in Deutschland bleiben?
Das Finanzielle spielt da bestimmt auch eine Rolle. Es gibt mittlerweile weitaus mehr große Vereine, die es damals noch nicht gab. Die sind jetzt herangewachsen, über die finanziellen Möglichkeiten verschiedener Eigentümer, die dazugekommen sind und die Vereine aufgebaut haben. Aber in Spanien sind deutsche Spieler sehr gefragt, weil eigentlich alle Spieler, die da waren, unglaublich gute Zeiten hatten. Vor mir waren es Günter Netzer, Paul Breitner und Uli Stielike, dann kam Bodo Illgner [Anmerkung der Redaktion: alle spielten bei Real Madrid]. Deutsche Spieler waren immer gefragt. Man konnte sich auf sie verlassen. Es waren gute Profis. Und auch die Mentalität Deutsch-Spanisch funktioniert wunderbar. Das passt sich sehr gut an. Deswegen, da bin ich sicher, wird es immer wieder deutsche Spieler in Spanien geben. In Italien war es auch so. Dort ist die Mentalität ähnlich. Das wird immer so bleiben.
Wie sehen Sie die Leistungen von ter Stegen und Kroos?
Marc-André ter Stegen hat sich seinen Stammplatz beim FC Barcelona richtig erarbeitet. Er ist für mich völlig zu Recht die Nummer eins - auch in Deutschland. Toni Kroos hat natürlich einen super Lauf gehabt und eine super Mannschaft erwischt, ist drei Jahre hintereinander Champions-League-Sieger geworden und hat sehr viel Erfolg gehabt. Das muss man anerkennen. Er hat seinen Teil zu diesen Erfolgen beigetragen. Es ist natürlich schwierig, Jahr für Jahr immer wieder einhundert Prozent rauszuholen, alles wieder auf den Platz zu legen, trotz des Riesenerfolgs. Da ist es nicht so einfach, sich zu motivieren. Dann kommt schon mal ein Jahr, in dem es nicht so läuft, wie dieses Jahr, wo es bei Real Madrid nicht gut gelaufen ist. Aber ich denke, nächstes Jahr wird sich das wieder ändern.
Zinedine Zidane gilt als Förderer von Toni Kroos. Sehen Sie für ihn eine Zukunft in der Mannschaft von Real?
Eigentlich schon, aber im Moment wird viel spekuliert. Eine ganz schlimme Saison geht zu Ende. Jetzt wird spekuliert, wer kommt und wer geht. Es ist daher schwierig zu sagen, aber vom Fußballerischen her hat er mit Sicherheit eine Zukunft bei Real. Man muss auch sagen: Im letzten Jahr war die WM. Das wird für die Spieler immer unglaublich lang. Kein Urlaub, keine Erholung. Dann ist es nicht verwunderlich, dass es im nächsten Jahr mal nicht so läuft.
Sie waren selbst Trainer bei Real Madrid. Was muss mit dem Team passieren, damit es wieder eine Top-Mannschaft wird?
Es müssen Neuverpflichtungen kommen, gerade im Angriff. In diesem Jahr haben Tore gefehlt. Es lag nicht unbedingt an Abwehr oder Mittelfeld. Aber wenn mit Cristiano Ronaldo ein Spieler, der 50 Tore schießt, von heute auf morgen geht - zehn Jahre hat er das Spiel von Real geprägt -, dann hinterlässt er natürlich ein Loch. Das ist dieses Jahr passiert. Im Moment sieht es danach aus, dass Eden Hazard vom FC Chelsea kommt, der fast so etwas wie Torgarantie mitbringt. Vielleicht kommt der eine oder andere noch dazu. Und dann ist Real Madrid wieder richtig dabei.
Wie sehen Sie die spanische Liga im Vergleich mit der Bundesliga - vor allem im Hinblick auf das Titelrennen?
In Spanien werden es auch im nächsten Jahr wieder die drei Großen [Real Madrid, FC Barcelona und Atletico Madrid] unter sich ausmachen. In Deutschland hatte man endlich mal wieder Spannung bis zum letzten Spieltag. Das hat es ja lange nicht gegeben. Es ist positiv, dass Dortmund wieder an die Bayern herankommt. Aber die Bayern werden im Sommer mit Sicherheit an ihrer Mannschaft etwas verändern, sodass der Unterschied in der nächsten Saison wieder größer sein dürfte.
Der ehemalige deutsche Nationalspieler Bernd Schuster (21 Länderspiele) begann seine Profikarriere 1978 beim 1. FC Köln. 1980 wechselte er zum FC Barcelona (1980-1988) und war anschließend auch für Real Madrid (1988-1990) und Atletico Madrid (1990-1993) aktiv. Nach seiner Zeit in Spanien spielte Schuster noch drei Jahre in der Bundesliga für Bayer 04 Leverkusen. Nach seiner Zeit als Profi wurde Schuster Trainer. Er war verantwortlich für Mannschaften in Deutschland, Spanien, der Ukraine, der Türkei und in China - unter anderem saß er auf der Bank von Real Madrid und Besiktas Istanbul Für seine Arbeit im Ausland wurde Schuster in der vergangenen Woche mit dem Ehrenpreis "Deutscher Fußball Botschafter" ausgezeichnet.
Das Interview führte Hecko Flores.