Berlinale-Retrospektive: Weimarer Kino
Die 68. Berliner Filmfestspiele widmen sich 2018 auch dem Kino der Weimarer Republik. Die filmhistorische Retrospektive hat sich auf die Suche nach Entdeckungen gemacht - und einige Überraschungen zu Tage befördert.
Große, aber wenig bekannte Filme
Nicht die bekannten Klassiker stehen bei der Retrospektive "Weimarer Kino - neu gesehen" im Mittelpunkt, sondern selten gezeigte oder kaum gewürdigte Filme. Eine Entdeckung ist der zweiteilige Film "Christian Wahnschaffe", den der Däne Urban Gad 1920/1921 in Deutschland realisierte. Die Geschichte eines reichen Fabrikantensohnes zu Beginn des 20. Jahrhunderts war jahrzehntelang nicht zu sehen.
Die Schrecken des Krieges
Ein großes Thema von Autoren und Regisseuren war in der Weimarer Zeit der nicht lange zurückliegende Erste Weltkrieg. Als deutsche Version von "Im Westen Nichts Neues" gilt der wenig bekannte Anti-Kriegsfilm "Die andere Seite" von Heinz Paul mit Conrad Veidt. Der Film versetzt sich in die Lage der deutschen Kriegsgegner - indem er eine Geschichte erzählt, die unter englischen Soldaten spielt.
Weimar brachte auch Farbe ins Kino
Wer denkt, dass die Retrospektive "nur" Schwarz-Weiß-Filme und kolorierte Fassungen zeigt, der irrt. Bereits in der Frühphase des Kinos experimentierten Filmtechniker mit den verschiedensten Farbverfahren. Besonders in Deutschland erzielten die Farbfilm-Pioniere eindrucksvolle Ergebnisse und demonstrierten diese in Kurzfilmen - hier ein Beispiel des Sirius-Farbfilmverfahrens der UFA.
Abstrakte Kunst auf der Leinwand
Und nicht nur farbig ging’s im Kino der Weimarer Republik zu, sondern auch experimentell und wagemutig. Der Filmpionier Oskar Fischinger ließ 1933 in seiner Arbeit "Alle Kreise erfasst Tolirag" abstrakte Formen miteinander korrespondieren. Als Werbefilm getarnt schmuggelte Fischinger das Werk an der damaligen Zensur vorbei. Den "Soundtrack" lieferten Richard Wagner und Edward Grieg.
Die Melodramen der Zeit
Das Weimarer Kino war auch abseits der heute noch bekannten Klassiker ein Kino der Stars und der großen Melodramen. Einige dieser vergessenen Perlen der Filmkunst sind nun zu entdecken - wie beispielsweise Erich Waschnecks Film "Die Carmen von St. Pauli" (1928), in dem Stummfilmstar Jenny Jugo die Gangsterbraut Jenny spielt, die einen Bootsmann (Willy Fritsch) fast ins Verderben führt.
Meisterwerk "Abwege"
Neben vielen relativ unbekannten Filmen aus der Zeit der Weimarer Republik finden sich im Programm der Retrospektive auch ein paar bekanntere Werke - doch auch sie dürften nicht allen Kinozuschauern vertraut sein. Georg Wilhelm Papst bewegendes Melodrama um ein Ehepaar in der Krise aus dem Jahre 1928 war beispielsweise lange verschollen, bis in den 1990er Jahren eine Kopie auftauchte.
Leni Riefenstahls Debüt
Die Schauspielerin Leni Riefenstahl, in den 1920er Jahren durch ihre Auftritte in einer Reihe dramatischer Bergfilme bekannt geworden, inszenierte 1932 gemeinsam mit Bela Balasz ihren ersten Film in eigener Regie. "Das blaue Licht" ist ein effektvoll in Szene gesetztes Melodrama in der Tradition deutscher Romantik. Hitler und Goebbels wurden auch durch diesen Film auf Leni Riefenstahl aufmerksam.
Romanverfilmung "Frühlingserwachen"
In drei Themenschwerpunkte ist die Berlinale-Retrospektive gegliedert: Alltag, Exotik und Geschichte. Zum Bereich "Alltag" zählt die Verfilmung "Frühlingserwachen" nach dem berühmten Roman von Frank Wedekind von Regisseur Richard Oswald aus dem Jahre 1929. Ein Thema dort: Der kritische Blick auf "Erziehungsideale" der Zeit - ein paar Jahre vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.
Filmgala "Das alte Gesetz"
Tradition bei der Berlinale ist es, dass ein Film der Retrospektive als besondere Premiere inszeniert wird - mit Live-Musik im festlichen Rahmen. In diesem Jahr ist es E.A. Duponts "Das alte Gesetz", der in einer frisch restaurierten Fassung Premiere feiert. Ein wichtiger Film der deutsch-jüdischen Filmgeschichte, der die Assimilation der Juden im Europa des 19. Jahrhunderts thematisiert.
Weimarer Kino - in seiner Vielfalt neu gesehen
Mit dem diesjährigen Retrospektiven-Thema schließt die Berlinale eine Lücke. Das Kino der Weimarer Republik gilt bis heute als fruchtbarste und einflussreichste Periode des deutschen Films. Nun zeigt die filmhistorische Schau, dass es neben den allseits bekannten Meisterwerken der Kino-Historie zahlreiche weitere Filme gibt, die bisher zu Unrecht im Schatten standen.