Berlin und Corona: Das Ende der Party?
12. Juli 2020Die Pforte zum legendären "Berghain", Sehnsuchtsort der internationalen Party-Community, ist inzwischen mit einem "Black-Lives-Matter"-Graffiti übersprüht. Nachdem im März Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci verkündete - "Es ist einfach nicht die Zeit für Partys!" - ging hier kein Gast mehr durch. Wohl bis Jahresende, sagt die Berliner Landesregierung, der Senat, wird sich daran nicht viel ändern. Anders als zum Beispiel Zürich hat Berlin die Verbote für Clubs bislang nicht gelockert.
Berlin wäre nicht Berlin, würde es nicht Leute geben, die trotzdem Party machen. "Meditanzion" nennt sich eine Gruppe, die Yoga-Meditation, Techno-Tanzen und eine "Wir-sind-alle-gleich"-Demo in einem Event auf die Straßen bringt. Die "Neo-Hippies" organisierten auch schon Abende direkt vorm Brandenburger Tor.
Die sonstige Berliner Jugend flüchtet sich derweil in die weitläufigen Parks. Dort, auf den großen Wiesen, treffen sie sich inzwischen regelmäßig zum Tanzen. Die Polizei kommt oft vorbei, lässt in der Regel aber gewähren, ruft nur ab und an Mal zum Abstandhalten auf.
"Raven im Sitzen macht keinen Spaß"
Manche Clubs haben sogar trotz der Corona-Pandemie geöffnet - so halb zumindest. Wer eine Außenfläche hat, darf dort Getränke verkaufen. Tanzen aber ist verboten! Damit das nicht zu sehr an normale Biergärten erinnert, nennt zum Beispiel das beliebte "About blank" sein Freiluft-Areal "Sektgarten".
Doch "Raven im Sitzen macht keinen Spaß", sagt Dennis, im bürgerlichen Leben Barbier in einem edlen Laden unweit des Gendarmenmarkts. Feiern war für viele Jahre sein Hobby. Vielleicht ganz gut, dass sich etwas ändert, sagt er jetzt. Schon länger sei er gar nicht mehr gern feiern gegangen. "Die Musik, die Leute - alles war mittlerweile kommerziell und wenig kreativ." Kurz vor dem Lockdown, erinnert er sich, habe er nach langer Zeit mal wieder in einen Club reingeschaut, dann aber nicht einmal mehr sein Bier ausgetrunken. "Die Musik war einfach schrecklich."
Doch nicht nur die Kommerzialisierung nagte schon vor Corona an Berlins Party-Image - Verdrängung durch finanzstärkere Mieter ist ein weiteres Problem. Der weltbekannte Fetisch-Club "Kitkat" verkündete Ende 2019 sein Aus für den Standort in Mitte - er war nicht der erste, der weichen musste.
Wenig Party - schlecht für Berlin
Dass es der Party-Metropole schlecht geht, ist ein ökonomisches Problem für Berlin insgesamt. Seit der Jahrtausendwende warb Berlin mit dem Slogan "Arm aber sexy" und lockte so massenweise Touristen in die Stadt. Und nun? Bleibt am Ende nur "Arm - und nicht mehr sexy" übrig?
Im Juni stieg die Arbeitslosenquote um 2,7 Prozent - so viel wie in keinem anderen Bundesland. Nicht 80 oder 90 Prozent wie sonst, sondern 10 oder 20 Prozent beträgt die aktuelle Auslastung in den Hotels. Die Lage sei "katastrophal", vermeldete der Hotel- und Gaststättenverband im Juni. In keiner anderen deutschen Großstadt war der Einbruch so stark.
250 Clubs, 150 Millionen Umsatz, drei Millionen Touristen - beschreibt eine Studie des Senats die Dimension, worum es geht. Über viele Jahre lebte die 3,7-Millionen-Stadt recht gut vom Ruf der Party-Metropole. "Das beeinflusste auch Investitionen außerhalb des Tourismus", sagt Stadtplaner und Publizist David Koser. "So dürfte bei der Ansiedlung der Tesla-Fabrik im Berliner Umland dieses Image eine Rolle gespielt haben - schließlich ist Berlin kein klassischer Automobil-Standort."
Gastwirt Johannes aus Mitte befürchtet Schlimmes. Erst die Clubs, dann die Restaurants, Getränkeshops und anderen Orte der Vergnügungsindustrie. In der zweiten Jahreshälfte rechne er mit einer großen Pleite-Welle. Dazu passt eine Nachricht, die Ende Juni wie eine Bombe einschlug. Easyjet, die Airline, die wie keine andere für Party-Tourismus steht, halbiert seine Flotte in Berlin.
Gegen die Flaute stemmt sich eine frisch gegründete Gruppe von Club-Betreibern, Restaurantbesitzern und Kulturleuten. Sie nennen sich "One Berlin". Vom Senat fordern sie Steuererleichterungen. Sie leite massive Existenz-Angst und große Sorge um das urbane Leben in Berlin, hieß es bei der Gründungsveranstaltung. Unter anderem fordern sie, mehr Partys auf öffentlichen Plätzen wie dem Alexanderplatz in der Mitte Berlins zuzulassen.
Ein Revival der Friedrichstraße?
Doch viele Menschen in Berlin finden die Party-Flaute ganz erholsam, wie immer wieder zu hören ist. Das hat einen Grund: Touristifizierung. "Der Party-Tourismus hat sich erheblich in der Stadtstruktur eigentlicher Wohnviertel niedergeschlagen", sagt Koser, "mit einem hohen Anteil touristisch ausgerichteter Gastronomie, Spätverkaufsgeschäften, Ferienwohnungen und Hostels." Mit dem Effekt einer "Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung und des nicht-touristischen Gewerbes". Anders als bei einer Gentrifizierung seien keine neuen bürgerlichen Viertel entstanden, sondern "rund und um die Uhr belebte Ausgehviertel".
Vielleicht eröffne die Krise auch Wege, einiges neu zu ordnen. Wie die Chance, den Party-Tourismus aus den Wohnvierteln zu verlagern, sagt Koser. "Nämlich dort, wo er hingehört und nicht stört: in das Stadtzentrum - insbesondere in den Bereich der Friedrichstraße, der einst Berlins zentrales Vergnügungsviertel war".
In der Tat sucht die Friedrichstraße derzeit nach einer Zukunft. Aus dem Plan einer Luxus-Meile ist nichts geworden. Viele Geschäfte stehen leer. Ab August will der Senat den Autoverkehr sperren und testen, ob eine Fußgängerzone mehr Publikum bringt. Viele sind skeptisch.
"Ich sehe - sofern die Corona-Krise bewältigt wird - nicht das Ende der Party-Metropole Berlin", meint Koser. "Das Bedürfnis nach Party in einem großstädtischem Ambiente ist nun Mal da."
Zudem sei wohl das "innovative Potential" Berlins längst nicht ausgeschöpft. Selbst wenn die seit immerhin schon 30 Jahren prägende Techno-Kultur abflauen sollte. Schließlich sei es gerade in Berlin schon immer so gewesen, dass erst Leerstand Platz für kulturell Neues bot.