So nah und doch so fern
7. April 2017Deutschland sei ein gut organisiertes und strenges Land, weiß die Grafikerin Giota Chilakou zu berichten. Aber was heißt "streng" in dem Zusammenhang? Dass Gesetze rigoros zur Anwendung kommen und rigide Verhaltensregeln herrschen, sagt die junge Griechin im Gespräch mit der DW. "Ich glaube, dass in Deutschland die Herzenswärme etwas zu kurz kommt. Für uns Griechen ist das soziale Miteinander jedenfalls viel wichtiger", fügt sie hinzu.
Die 23-Jährige, die in einem Athener Verlag arbeitet, war bisher noch nie in Deutschland. Sie kennt aber Leute, die nördlich der Alpen leben und arbeiten. Ob sie irgendwann auch selbst den Sprung ins Ausland wagt, um sich ein Bild vom Leben in Deutschland zu machen? Giota findet den Gedanken interessant, macht sich jedoch keine Illusionen: "Einkommen und Arbeitsbedingungen sind attraktiv in Deutschland, und es wäre natürlich schön, mehr zu verdienen. Aber ich denke, dass die Lebenshaltungskosten dort auch viel höher ausfallen. Mal sehen, was kommt."
Gute alte Zeiten
Sympathie für die Deutschen empfindet Rentner Jorgos aus Athen. Aus seiner Sicht beruht die Zuneigung durchaus auf Gegenseitigkeit. "Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Deutschen fühlen sich mit der altgriechischen Kultur tief verbunden und haben in diesem Bereich auch viel mehr Forschung betrieben als die Griechen selbst", gibt der 77-Jährige zu bedenken. Er war schon öfters im kühlen Norden - zuletzt mit dem Wohnmobil auf schwäbischen Landstraßen. Allerdings ist das schon lange her, nämlich vor fünfzehn Jahren.
Da schien die Welt noch in Ordnung. Deutschland war Griechenlands wichtigster Handelspartner und in allen einschlägigen Umfragen in Hellas wurden die Deutschen zum beliebtesten Volk Europas gekürt. Dazu hatte wohl auch Trainerlegende Otto Rehagel beigetragen, der mit der griechischen Nationalmannschaft ungeahnte Erfolge feierte und im Sommer 2004 - völlig überraschend - die Fußball-EM in Portugal gewinnen konnte.
Entzweiung durch die Euro-Krise
Dann kam die Schuldenkrise. 2010 wurde das erste Hilfspaket unter strengen Sparauflagen für Griechenland geschnürt, gleich im nächsten Jahr fielen die deutschen Exporte in Richtung Hellas auf das Niveau von 2002 zurück. Mittlerweile läuft das dritte Rettungsprogramm für das krisengeplagte Land. Nach wie vor trägt Berlin einen beachtlichen Teil der Kredite. Wegen der Einschnitte und Rentenkürzungen, die mit dem Rettungsprogramm einhergehen, wird Deutschland allerdings in erster Linie nicht als Helfer, sondern als Sparaufseher und Totengräber der Konjunktur angesehen. Bereits 2012 erklärten in einer Umfrage acht von zehn Befragten, Deutschland wolle mit seiner Finanzkraft Europa dominieren.
Auch Rentner Jorgos musste bereits, krisenbedingt, Einkommensverluste von bis zu 40 Prozent hinnehmen. Doch er will keine einfachen Erklärungen und Schuldzuweisungen akzeptieren. "Populisten aller Couleur wollen uns weismachen, dass die Deutschen an allem schuld seien. Und sie finden auch viel Zuspruch", moniert der Rentner aus Athen.
Gerade bei den Jüngeren ist finanzielle Not der Vater des Gedankens. Über mangelnde Zukunftsperspektiven klagte schon vor der Krise die sogenannte "1000-Euro-Generation" in Hellas: Junge Menschen, die sich trotz guter Ausbildung mit prekären Jobs durchwursteln und, notgedrungen, noch bei den Eltern wohnen. Heute sind selbst 1000-Euro-Jobs eine Rarität, vor allem für die weniger Qualifizierten. Das Wort von der verlorenen Generation macht die Runde. Auch Giota Chilakou macht die Wirtschaftsmisere derzeit zu schaffen. "Natürlich geht die Krise nicht spurlos an mir vorbei. Wir müssen in Griechenland alles tun, um aus dieser Lage endlich herauszukommen", sagt sie. Und was die Rolle Deutschlands betrifft: "Sie agieren aus einer Position der Stärke heraus, wir sind die Schwachen. Das sagt doch schon alles."
Ein schwieriges politisches Umfeld
In diesem recht ungewissen Umfeld melden sich immer mehr vermeintliche Hoffnungsträger zu Wort, die unkomplizierte Lösungen versprechen. Jüngstes Beispiel: Europapolitiker Notis Marias gründet eine neue Partei mit dem bezeichnenden Titel "Der andere Weg"- aus der Krise, versteht sich. Marias, der seine politische Laufbahn bei den Rechtspopulisten begann und heute zur Fraktion der Konservativen und Reformisten (ECR) im EU-Parlament gehört, setzt auf Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg. "Die Deutschen schulden Griechenland Hunderte Milliarden. Es geht hier um Wiedergutmachung, Rückzahlung von Zwangskrediten, Entschädigung für die Kriegsopfer und die Plünderung archäologischer Stätten", mahnte er bei der Vorstellung seiner Partei am Mittwoch in Straßburg.
Mit dieser Forderung steht der Jurist nicht allein. Seit 2012 prüft eine Arbeitsgruppe im griechischen Finanzministerium mögliche Reparationsansprüche aus dem Zweiten Weltkrieg. Nicht zuletzt mit diesem schwierigen Thema wird der Bundespräsident bei seinem Besuch in Athen konfrontiert. Allerdings: "Aus deutscher Sicht ist diese Frage in juristischer Hinsicht erledigt" sagt Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Athener Zeitung "Kathimerini".