Kochen für Fremde
20. Juni 2012
Kurz vor 21 Uhr stelle ich mein Fahrrad ab. Dieses Haus muss es sein. Die Adresse habe ich – ebenso wie das Menü – zwei Tage vorher per Email zugeschickt bekommen. Aus den angekippten Fenstern im Erdgeschoss dröhnt Stimmengewirr. Erspähen kann ich nichts. Die Scheiben sind mit großen, weißen Stofftüchern verhangen. Für einen Moment packen mich Zweifel. Was, wenn das Ganze eine Abzocke ist oder die anderen Gäste unsympathisch? Ich drücke das Klingelschild und links neben dem Haupteingang öffnet sich eine Seitentür. "Come in!", ruft Marco und winkt mich mit einem herzlichen Lächeln herein.
Stimmung wie unter Freunden
Der Raum ist größer, als ich gedacht habe: eine Künstlergalerie mit abgeschliffenen Holzdielen und grobverputzten, weißen Wänden, an denen Pappkartoninstallationen hängen. In der hinteren Ecke des Raumes ist eine große Tafel aufgebaut, um die schon dreizehn Gäste sitzen und sich angeregt unterhalten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, hier haben sich gute Freunde zu einem zwanglosen Abendessen verabredet. Neugierig mustern mich ihre Blicke – wie auf einer Geburtstagsparty, auf der ich niemanden kenne.
Übers Internet haben sich die Teilnehmer zu einem Fünf-Gänge-Menü verabredet, in der Wohnung des italienischen Künstlerpärchens Chiara Zanella Ferro und Marco Thiella. Unter dem Namen "Metta una sera a cena" veranstalten die beiden seit zwei Jahren Kochabende auf hohem Niveau. "Am Anfang hatten wir manchmal nur zwei Anmeldungen", verrät Chiara. "Dann mussten wir unsere Freunde dazu laden, damit es nicht so leer aussieht."
Treffpunkt für Aufgeschlossene
Das hat sich längst geändert, seit die sogenannten Supper Clubs in Berlin schwer in Mode gekommen sind. "Meistens kommen die Gäste aus Berlin, aber manchmal sind auch Touristen aus London oder New York hier, die für ein Wochenende Berlin erkunden wollen", sagt Marco. Keine schlechte Idee, wie ich finde. Wo sonst bekommt man so leicht Insidertipps und lernt so aufgeschlossene Menschen kennen? "Wir können uns gern duzen", sagt mein Tischnachbar, noch bevor ich richtig sitze. Er stellt sich mit dem Namen Markus vor, ist Mitte Vierzig und arbeitet für eine unabhängige politische Stiftung. Er und seine Frau sind bereits zum zweiten Mal hier und haben schon verschiedene Supper Clubs getestet. "Der hier ist wirklich sehr gut", sagt Markus.
Während wir ins Gespräch vertieft sind, wird uns ein köstlicher Gang nach dem anderen serviert: der Vorspeise – einem Salat aus Meeresfrüchten, Sellerie und Fenchel – folgen Orecchiette mit frischen Tomaten, Ziegenkäse und Pinienkernen. Als zweiter Gang wird Kabeljau mit Mandelgratin, Avocadocreme und Chips aus roten Zwiebeln kredenzt. Dazu gibt es zwei verschiedene Weißweine. Im Hintergrund säuselt mal Nina Simone, mal Hildegard Knef aus den Lautsprechern und ich merke, wie sich in mir eine tiefe Entspannung breitmacht. Ich habe so gar nicht das Gefühl, dass ich hier zwischen Fremden sitze.
Selbstgemachtes Eis aus Zwiebeln und Olivenöl
Besonders angetan bin ich vom ersten Zwischengang: selbstgemachtes Eis aus Zwiebeln und Olivenöl mit frittierten Sardinen. Was zunächst unvereinbar klingt, schmeckt überraschend angenehm und abgestimmt. Während ich dem Charme des Abends endgültig erliege, müssen Chiara und Marco nebenan in der Küche noch schwer schuften.
Akribisch achten sie auf jedes Detail. "Mir ist die Textur sehr wichtig", sagt Chiara. "Aber auch der äußere Eindruck. Ich finde, jedes Gericht muss den Gast ansprechen." Dass sie und ihr Freund Marco Künstler sind, merkt man den Gerichten an: Es landet nichts auf den Tellern, was nicht eine in sich geschlossene Komposition darstellt. So wird beim Dessert aus einer Mango-Panacotta mit Schokoküchlein eine zerstäubende Sternschnuppe. Gefeiert wird hier der gute Geschmack.
Nach dem Essen wird’s gemütlich
Erst als der Espresso serviert ist, setzen sich die beiden Hobbyköche selbst mit an den Tisch. Ihren Gesichtern ist anzusehen, wie der Stress eines ganzen Tages abfällt; erst recht als sie sich versichern können, dass alle Gäste zufrieden sind. Mit den Kochabenden verdient sich das Künstlerpaar etwas Geld dazu. Viel bleibe jedoch nicht übrig, erzählt Chiara. "Aber Hauptsache ist, wir haben Spaß und lernen neue Leute kennen."
Als ich nach einem rundum gelungenen Abend um eine Spende gebeten werde, lege ich bereitwillig zu den "empfohlenen" 45 Euro ein Trinkgeld drauf. Es ist bereits zwei Uhr morgens, als ich die Wohnung verlasse. Die Verabschiedung ist ebenso herzlich, wie es der Abend war. Dankbar bin ich, dass ich in ihren doch sehr privaten Räumen Gast sein durfte. Und so radle ich mit einem in jeder Hinsicht guten Bauchgefühl nach Hause.