Kolumne: Berlin ist nicht Ballermann
16. Oktober 2016Flussbad Berlin – das klingt irgendwie gesund, so nach Wassertreten und Kneipp-Anwendungen. Und dennoch erregt das "Flussbad Berlin" die Gemüter. Für die Gegner ist es weit schlimmer als eine dieser üblichen Berliner Verrücktheiten; denn es öffne der "Verballermannisierung Berlins" Tür und Tor. Für mich ist es eine der wenigen Visionen, von denen Berlin dringend mehr bräuchte.
Planschen am Pergamonmuseum
Worum geht es? Machen Sie einen Augenblick die Augen zu und stellen sich das Undenkbare vor: Sie könnten in der Spree schwimmen, direkt an der Berliner Museumsinsel, inmitten des historischen Stadtkerns, umgeben von den berühmten Museumsbauten, die von der UNESCO als Weltkulturerbe geschützt werden. Planschen am Pergamonmuseum sozusagen, im Spreekanal zwischen Auswärtigem Amt und Museumsinsel, auf einer Strecke von ca. 800 Metern. Wäre das nicht eine faszinierende Vorstellung?
Den historischen Stadtkern Berlins beleben
Genau das ist die Idee der beiden Architekten-Brüder Jan und Tim Edler. Sie betreiben mit ihrer Berliner Künstler- und Architektengruppe realities:united schon länger die künstlerische Gestaltung des urbanen Raumes. "Flussbad Berlin" ist ihr bisher ambitioniertestes Projekt und sie haben es bereits weit vorangetrieben. Mehr als 400 Ehrenamtliche unterstützen sie dabei. Auch die Bundesregierung und der Berliner Senat ließen sich überzeugen und stellten 4 Millionen Euro für eine Machbarkeitsstudie zur Verfügung.
"Wir sind keine verrückten Schwimmer", sagt mir Jan Edler bei einer Werbeveranstaltung der Initiative. Ihm geht es darum, den Spreekanal, "diese große Brache in der Mitte Berlins", zugänglich zu machen, und den historischen Stadtkern zu beleben. Dabei soll es dank natürlicher Pflanzenkläranlage sogar noch ökologisch nachhaltig zugehen. Eigentlich ein perfekter Plan, denke ich mir.
Prollige Partymeile am Flussbad in Berlin Mitte?
Doch Berlin wäre nicht Berlin, wenn es nicht auch starken Gegenwind gäbe. Der erfahrene Berliner Architekt Bernd Albers beispielsweise verurteilt die "swimmingpoolartige Anlage" in der Nähe der Museumsinsel als "abwegig und hirnverbrannt". Andere sehen schon schrill-bunte Sonnenschirme neben den historischen Museumsfassaden flattern. Außerdem stinkende Frittenbuden und lärmende Alkoholexzesse, wie sie das gewöhnliche Strandleben so mit sich bringen. Das alles klingt so, als drohe Berlin das gleiche Schicksal wie dem Ballermann in El Arenal, der prolligen Partymeile Mallorcas.
Alles Unsinn, entgegnet Jan Edler. Außer einer großen Treppe, auf der man in die Spree steigen kann, ist kein Raum für das gefürchtete Strandleben vorgesehen. Im Hintergrund des Streits steht die alte Auseinandersetzung zwischen Hoch- und Populärkultur, die in Berlin so verschiedene Spielformen hat wie der Karneval der Kulturen.
Genug Kultur für alle
Die Diskussion ist so alt wie die Stadt selber. Unter den Propheten des Niedergangs ist der in Berlin lebende Maler Markus Lüpertz der lauteste und prominenteste. Die Stadt lasse kulturell unheimlich nach, sagte er mir unlängst. Berlin sei ein "wildgewordener Jugendstaat" und begnüge sich damit, wenn Leute es "geil finden, in Berlin zu leben".
Ist doch völlig in Ordnung, denke ich mir. Für die vermeintlich Anspruchsvolleren gibt es schließlich genug andere Angebote. Den Nörglern und Kleingeistern möchte man ein bisschen mehr Zutrauen in die Kreativkräfte dieser Stadt wünschen. Dass aus Berlin irgendwann einmal Ballermann wird, steht nicht zu erwarten. Ich glaube ganz fest daran: Berlin bleibt Berlin.