EU-Länder wollen längere Grenzkontrollen
23. Januar 2016Um den Flüchtlingsandrang zu bewältigen, streben offenbar mehrere EU-Staaten eine Verlängerung ihrer Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums an. Entsprechende Pläne verfolgten unter anderem Deutschland, Österreich, Belgien, Schweden und Dänemark, berichtet die Zeitung "Welt am Sonntag" in einer Vorabmitteilung. Sie beruft sich dabei auf ranghohe EU-Diplomaten. Die Kontrollen könnten bis Ende 2017 dauern.
Auch Deutschland, das die Einreise-Checks nach derzeitiger Regelung im Mai 2016 beenden muss, könnte seine Grenzen für maximal eineinhalb Jahre weiter in erhöhtem Umfang sichern, schreibt die Zeitung. Die notwendigen Schritte für verlängerte Kontrollen sollen demnach schon am Montag beim informellen Treffen der EU-Innenminister im niederländischen Amsterdam auf den Weg gebracht werden.
Für die deutsche Wirtschaft ist das nach Aussage von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer ein Schreckensszenario: "Das kann böse enden - politisch und wirtschaftlich", sagte Kramer der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
"Wenn es nun wieder kilometerlange Staus an den Grenzen geben sollte und wenn LKW wieder tagelang stehen, bis sie abgefertigt werden, dann ist das auch ökonomisch ein GAU."
Mikl-Leitner: "Keine Denkverbote"
Österreich droht derweil Griechenland mit einem Ausschluss aus dem Schengen-Raum, dem 22 der 28 EU-Mitgliedsstaaten angehören und innerhalb dessen die Grenzen prinzipiell offen sind. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sagte der "Welt am Sonntag", wenn ein Schengen-Staat seinen Verpflichtungen dauerhaft nicht nachkomme und nur zögerlich Hilfe annehmen wolle, dann dürfe es "keine Denkverbote" geben.
Falls die griechische Regierung nicht endlich mehr für die Sicherung der EU-Außengrenzen unternehme, müsse auch über eine vorübergehende Aussetzung des Schengen-Abkommens mit dem Land offen diskutiert werden. Mikl-Leitner unterstellt Athen mangelnde Entschlossenheit: "Es ist ein Mythos, dass die griechisch-türkische Grenze nicht kontrolliert werden kann." Die griechische Marine zähle zu den stärksten in Europa und könne unter ziviler Führung auch zur Kontrolle und Registrierung der Migrationsströme eingesetzt werden.
"Die Geduld vieler Europäer neigt sich dem Ende zu", sagte die österreichische Außenministerin. "Es wurde viel geredet, jetzt muss endlich gehandelt werden. Es geht darum, die Stabilität, Ordnung und Sicherheit in Europa zu schützen."
Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte beim Neujahrsempfang der CDU in ihrem Wahlkreis in Greifswald, der richtige Weg, um die Flüchtlingskrise zu meistern, seien die Bekämpfung der Fluchtursachen und die Sicherung der Außengrenzen. "Ich verspreche Ihnen - weil ich weiß, dass es vielen Tag und Nacht durch den Kopf geht -, dass wir allen daran setzen, die Zahlen für dieses Jahr spürbar zu reduzieren." Die Kanzlerin hatte sich nach deutsch-türkischen Regierungskonsultationen am Freitag erneut gegen einzelstaatliche Lösungen gewandt: "Wir brauchen einen gesamteuropäischen Ansatz."
"Bündnis für Arbeit" im Nahen Osten
Einen weiteren Schritt, um die Fluchtursachen zu vermindern, stellte Entwicklungsminister Gerd Müller vor. Er will im Nahen Osten mit einem "Bündnis für Arbeit" dort eine Bleibeperspektive für Syrien-Flüchtlinge schaffen. Das Ziel seien 500.000 Arbeitsplätze für Flüchtlinge in Jordanien, dem Libanon und der Türkei, sagte Müller den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Bis zur internationalen Syrien-Konferenz am 4. Februar in London wolle er möglichst viele Geber für das Programm gewinnen. Die Kosten lägen bei insgesamt zwei Milliarden Euro, so Müller. Aus dem deutschen Entwicklungsetat stelle er eine Anschubfinanzierung von 200 Millionen Euro bereit.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bemüht sich nach Informationen der "Rheinischen Post" um einen EU-Sondergipfel mit der Türkei schon Ende Januar, spätestens Anfang Februar. Dabei müsse es darum gehen, das Abkommen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise und zur Sicherung der EU-Außengrenzen abzuschließen, erfuhr die Zeitung aus Brüsseler Kommissionskreisen.
Die Türkei will von der EU mehr Flüchtlingshilfen als die bislang versprochenen drei Milliarden Euro. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte der dpa am Freitag gesagt, die bisherigen Zusagen seien "nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen". Die EU ist sich noch nicht einig, wer welchen Anteil beisteuert. Deshalb ist von dem Geld bisher nichts in der Türkei angekommen.
jj/wl (dpa, afp, rtr)