Schwierige Aufarbeitung
30. Juni 2010Belgisches Fernsehen ist in diesen Tagen manchmal wie ein Horrortrip in die Vergangenheit. Da gesteht ein ehemaliger Kolonialbeamter: "Ich kehre zurück in ein Land, das mich immer noch verhext." Dann erklärt er, Afrikaner seien faul, deshalb habe er sie damals auspeitschen lassen müssen. Außerdem fehle dem Afrikaner der Sinn für langfristige Planung, zum Beweis werden Straßen mit Schlaglöchern eingeblendet. Und dann erfährt der Zuschauer noch, warum der alte Mann trotzdem nie aufgehört hat, die Afrikanerinnen zu lieben: "Sie sind nicht so zimperlich wie die reichen zivilisierten Zicken, sie geben sich ganz und gar hin, das sind wilde Tierchen."
Verpasste Chance
Ein klares Indiz dafür, wie schwer sich Belgien fünfzig Jahre nach der Unabhängigkeit seiner Kolonie Kongo mit der Vergangenheit tut. "Die Belgier werden erst dann über ihre Kolonialvergangenheit und über den Verlust des Kongo hinwegkommen, wenn sie bereit sind, die Geschichte auch aus der Perspektive der Kongolesen wahrzunehmen und anzuerkennen. Die Feiern zur Unabhängigkeit jetzt wären die Chance gewesen. Aber leider hat Belgien sie ungenutzt verstreichen lassen", bedauert der Politologe Bob Kabamba. Der Kongolese mit belgischem Pass lebt seit rund 30 Jahren in Lüttich und arbeitet dort als Politologe an der Universität. Er versucht, kolonialen Reflexen der belgischen Gesellschaft mit der kritischen Distanz des Wissenschaftlers zu begegnen.
Ein Problem der Eliten
Dass das Problem noch viel tiefer zu liegen scheint und eines der akademischen und politischen Elite Belgiens ist, stellt auch der Soziologe Ludo de Witte fest. In zwei Büchern hat er Ende der 90er Jahre erstmals nachgewiesen, dass Belgien 1961 direkt an der Ermordung des ersten kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba beteiligt war: "Ich wurde damals sogar von belgischen Militärs bedroht", erzählt er. Mit seiner Unterstützung wollen nun Angehörige des ermordeten Politikers zwölf Belgier verklagen.
Linkere Intellektuelle wie de Witte sind gegen jedes Engagement Belgiens im Kongo – ganz anders etwa der junge Autor und Theaterwissenschaftler David van Reybrouck, der gerade ein viel beachtetes Buch zum Kongo veröffentlicht hat: "Wir können in Belgien nicht bei der Selbstanklage stehen bleiben. Ich fühle mich als Vertreter einer neuen Generation, die weder aggressiven Neokolonialismus will noch passive Vogel-Strauß-Mentalität. Die Synthese heißt für mich humanitäres Engagement."
Die Vielzahl der Meinungen und Kontroversen zeigt: Belgien ist noch längst nicht über seine koloniale Vergangenheit hinweg. Sein Glück im Gegensatz zum Kongo aber ist: Es hat nicht jeden Tag mit den Folgen zu kämpfen.
Autorin: Katrin Matthaei
Redaktion: Katrin Ogunsade